Durch die Wildnis von Feuerland

Kapitel 1
Durch die Wälder und Täler der Selk'nam

Unter anderem auch deshalb, weil ich mich – kaum zu glauben – im Abflugsdatum meiner Maschine nach Buenos Aires geirrt hatte und deshalb einen unfreiwilligen Aufenthalt in Frankfurt einschieben musste. In Buenos Aires ging ich stracks zum Instituto Geographico Militar, um mir das nötige Kartenmaterial zu besorgen. Dann ab mit dem Taxi zum Busbahnhof für die grossen Distanzen. Die ersten dreitausend Kilometer brachte ich in einem komfortablen Reisebus hinter mich, von Rio Gallegos nach Rio Grande war es nur noch ein ordinärer Überlandbus, und für die Fahrt nach Ushuaia auf der Schotterpiste wurde ein staubiges klapperndes Vehikel verwendet, dass sich unter Ächzen und Dröhnen zum Paso Garibaldi hochschraubte. Ushuaia war mir zwei Tage wert, dann hatte ich alle noch benötigten Dinge zusammen. Der Marsch begann. Ich nahm ein Taxi und liess mich zum Eingang des Parque National Tierra del Fuego fahren. Ich wollte den Stempel für den Eintritt auf die Stirn haben, und die Mädchen am Schalter lachten – kein schlechter Abschied von der Menschheit. Denn die nächsten sechs Tage war ich alleine. Ich steuerte auf verschiedenen Pfaden auf den Rio Pipo zu. Dass der Weg entlang dieses Flusses an den Lago Kami schon seit einigen Jahren gesperrt ist, war mir bewusst. Doch ich suchte nunmal die Abgeschiedenheit, zudem hätte ich für die anderen Wanderwege zunächst mal einen Tag auf der Ruta 3 wandern müssen, und das wollte ich nicht. Das Schild mit dem Gebot „No Trespassing!“ liess ich also hinter mir und war allein mit dem Fluss und dem Wald und den links und rechts steil aufragenden Bergen. Dort oben schien es zu schneien. Gut, ich hatte ja die nötige Ausrüstung dabei. Da der alte Wanderweg schon nach kurzer Zeit nicht mehr auszumachen war, suchte ich mir meinen eigenen Weg durch’s Unterholz. Hier und da folgte ich auch einem Pfad der Wildpferde. Bei einem Erdrutsch war dann plötzlich Schluss, und ich musste ans andere Ufer. Völlig grün suchte ich mir die wahrscheinlich tiefste Stelle aus und wurde prompt nass…
In der Nacht schneite es, und morgens war der Himmel grau und verhangen, so dass ich mein Zelt nass einpacken musste. Beim Weitermarsch am Vormittag merkte ich dann, dass ich viel langsamer vorwärts kam, als ich das in Deutschland geplant hatte. Etwa einen Kilometer schaffte ich pro Stunde, und das obwohl ich pausenlos vorwärtsging. Doch die umgestürzten Bäume, die durch die steilen Hänge immer genau quer zu meiner Marschrichtung lagen, der sumpfige Boden und die endlosen Windungen des Flusses, dazu das Gewicht des Rucksacks, machten es mir unmöglich, schneller voranzukommen. Nachmittags kam ich aus dem Wald heraus und auf ein langgezogenes Turbiafeld. Turbia ist dieses seltsame moosartige Gewächs, in das man mitunter bis zum Knöchel einsinkt. Doch nun sah ich endlich die Berge rings um mich, mit Schnee oberhalb der Baumgrenze, und darunter der dichte, wegelose Wald. Nachts wurde es wieder sehr kalt. Ich betrachtete die Seitentäler der Berge und versuchte so, mithilfe der recht genauen 1:50’000 – Karte meine Position zu bestimmen. Ich schätzte die Distanz bis zum Ende des Tales auf einen weiteren Tagesmarsch. Nun kamen mir die Biber ein erstes Mal in die Quere. Auf Feuerland sind sie überall, wo es Flüsse und Seen gibt, und wo sie einen Fluss aufstauen, da muss ein Wanderer oft auf die höhergelegenen Stellen ausweichen. Für mich bedeutete das immer anstrengende und zeitraubende Umwege, und so entwickelte ich bald eine ziemliche Abneigung gegen die Nager. Der Boden war in dieser Gegend sehr nass – ich hatte eh seit zwei Tagen nasse Füsse – doch wenigstens Baumlos, so dass ich gut vorankam und zu meiner Überraschung bereits am frühen Nachmittag das Ende des Flusstales erblickte. Einen weiteren Tagesmarsch weiter nördlich kam der Rio Pipo aus den Bergen, und dort lag auch der Pass, über den ich musste. Also folgte ich dem Fluss weiter nordwärts. Überall lagen riesige, moosbewachsene Felsbrocken herum, die zusammen mit dem Fluss an einen japanischen Garten erinnerten. Gegen Abend erreichte ich die Stelle, wo der Rio Pipo westwärts in…
Es hatte fast bis zu meinem Zelt hinunter geschneit, und die Wolken hingen tief über den Hängen. Ich füllte mir noch heissen Tee in die Thermoskanne, dann begann ich, mich den verschneiten Pass hinaufzuarbeiten. Ich brauchte fast zwei Stunden, bis ich oben war; der Schnee war knietief und überall versperrten mir kleine, dichtwachsende Büsche den Weg. Oben angekommen, warf ich einen Blick zurück auf das Tal, durch das ich gekommen war – doch auch dort unten hüllte der Nebel alles ein. Nun musste ich etliche Kilometer auf einer weiten, verschneiten Ebene zurücklegen, an deren Seiten die Berge steil aufragten. Dann machte die Ebene eine Wendung von Osten nach Norden, und nach einigen weiteren Kilometern sah ich den Lago Alto vor mir. Völlog karg und trostlos lag er zwischen den Bergen. Doch ich fühlte mich gut und begann mit der Umrundung des Sees. Im Schneetreiben, den Rücken an die windabgewandte Seite eines kleinen Felsens gelehnt, machte ich Mittagspause und ass Kekse. Ich erreichte das Südufer des Sees und folgte dem Fluss, der hinunter ins Tal in Richtung des Lago Kami floss. Auf einmal stand ich an einer steil abfallenden Felswand. Rechts von mir schoss der Fluss in einem riesigen Wasserfall zu Tale. Ich befestigte meinen Rucksack an der Schlaufe meines Trekkingstockes und liess ihn so auf einen Absatz einige Meter weiter unten hinab, anschliessend kletterte ich hinterher. Ich schaffte es in einem Stück nach unten und campierte einige Kilometer weiter Flussabwärts. Keinen Meter zu früh, wie ich am nächsten Morgen feststellte. Denn der Fluss wand sich nun durch eine enge Schlucht, in der die Felsen links und rechts steil aufragten. Keine Chance, da durchzukommen; ich musste weiter nach oben und mir dort einen Weg suchen. Der Himmel war bewölkt und grau, in der Nacht zuvor war wieder Schnee gefallen. Das Herumklettern in der steilen Böschung erwies sich als schwierig, da ich in dem nassen Schnee dauernd ausrutschte. Jeder Busch, den ich streifte, regnete seine Nasse Last auf mich herab. Weiter oben…
Ich sah Hufspuren im matschigen Boden und folgte ihnen, und es war eine Art Trampelpfad der von den Estancias ausgebüchsten Wildpferde, und er führte mich an allen Felswänden und unpassierbaren Stellen vorbei sicher ins Tal, und als ich endlich unten ankam, fühlte ich mich ungheuer erleichtert. Ich war allerings praktisch hinabgerannt und meine Knie schmerzten noch Tage später. Wieder am Fluss, musste ich nur noch dessen Windungen nach Norden folgen; der Lago Kami konnte nicht mehr weit sein! Doch am Flussufer war es wieder oft zu steil zum Vorwärtskommen, und ich musste hoch und über die bewaldeten Bergflanken. Dann, endlich, nach 4 Tagen völliger Einsamkeit und allen nur möglichen Wetterbedingungen, sah ich ihn endlich vor mir: den Lago Kami, so genannt von den Selk’nam, und „wechselbarer See“ bedeutend. Ich sah das Ufer: es war keine Stunde mehr entfernt, und flach und sogar mit Strand! Ich konnte es kaum erwarten, unten anzukommen. Auf einmal rissen auch die grauen Wolken auf und die Sonne kam durch. Nun ging alles ganz leicht. Am Bergfusse angekommen, aber immer noch im Wald, vernahm ich ein Rauschen ung ging ihm nach. Ein weiterer Wasserfall, der letzte, bevor der Fluss in den See mündete. Ich zog mich nackig aus und stellte mich unter das hinabfallende Wasser. Es war so kalt, dass es mir den Atem nahm, doch ich fühlte mich anschliessend wie neu geboren. Ich nahm meine Sachen und watete etwas weiter unten durch den Fluss, ging durch ein kleines Wäldchen und kam hinaus an den Strand, und am anderen Ufer aufgereiht die verschneiten Gipfel der Sierra Injugoyen. Ich hatte es geschafft. Mir kam es vor, als hätte mich die Insel auf die Probe gestellt – und ich hatte bestanden. Nun hiess mich Feuerland willkommen. In Deutschland hatte ich im Internet einen Wanderbericht von zwei Leuten gelesen, die ebenfalls von Ushuaia aus den Lago Kami erreichen wollten. Nach zwei Tagen gaben sie auf; sie schrieben: „Schliesslich war es auch nur der Lago Kami. Wenn wir da zum…
doch da ich meine Vorräte falsch berechnet hatte und eigentlich gar nicht wusste, wie weit ich noch zu gehen hatte, entschied ich mich am nächsten Morgen für Weitermarschieren. Ich begann mich am Ufer durchzuschlagen und schaffte auch hier nicht mehr als einen Kilometer pro Stunde. Hin und wieder musste ich mich an steilen Klippen entlanghangeln, und zehn Meter unter mir glitzerte das glasklare Wasser. Doch es gab auch Stellen, die zum Pausieren sehr geeignet waren. Ich hatte bemerkt, dass die nach Norden gerichteten Uferabschnitte meist aus steil abfallenden Klippen bestanden, die nach Osten oder Westen gerichteten jedoch meist einen Strand hatten. Nachdem ich mich zwei Tage lang am Ufer des Sees durchgeschlagen hatte, erreichte ich die Bahia de los Reyes und traf unvermutet auf den ersten Menschen seit fast einer Woche. Senior Dominguez lebte dort ganz allein in einer kleinen Hütte, bei ihm nur seine beiden Hunde Jorgo und Pepo, zwei wahre Prachtexemplare. Als ich ihm von meinem Kohldampf berichtete, gab er mir als erstes eine Forelle, die er am Tag zuvor gefangen hatte. Etwas übereilt gab ich ihm als Gegengeschenk eine meiner drei Nudelpackungen – jetzt hatte also nur noch ein Kilo Nudeln und wusste nichtmal, wie weit es noch bis zur nächsten Strasse war. Bei meinem Gastgeber einzukaufen war auch nicht so einfach, schliesslich fuhr der nur einmal im Monat mit einem Boot, dass er von der Sägemühle am Lago Escondido per Funk herbeirief, zum Einkaufen, und hatte die Dinge somit nicht gerade im Überfluss. Aber egal, erstmal wurde die Forelle an weisse Sosse getan und gegessen. Dabei bot ich dem Hausherrn die Hälfte der Mahlzeit an; zunächst lehnte er dankend ab, doch als er die Forelle brutzeln und die Nudeln köcheln sah, überlegte er es sich nochmal anders. Ich beschloss daraufhin, bei der Hütte mein Zelt aufzuschlagen und einen Pausentag einzulegen, und Senior Dominguez hatte nichts dagegen – vielleicht freute er sich über ein bisschen Gesellschaft. Und ich hegte, um ehrlich zu sein, die leise aber bestimmte…
Später am Tag merkte ich dann, dass ich meine Frühstücks-Plastiktüte mit den Haferflocken, Rosinen und dem Milchpulver bei Dominguez in der Hütte vergessen hatte. Nun musste ich mir also von den ohnehin schon rationierten Nudeln noch etwas für das Frühstück aufsparen. Tatsächlich hatte ich dann an diesem und dem darauffolgenden Tag einen derartigen Kohldampf, dass ich mir die saftig fetten Löwenzahnblätter von den Wiesen direkt in den Mund stopfte. Ich kaute wie ein Pferd. Die Blätter schmeckten ein wenig bitter, doch meinem hungrigen Magen waren sie willkommen wie das Schaf dem Wolfe. Und so, wie Dominguez es gesagt hatte, erreichte ich erschöpft, aber mit heilen Knochen und lediglich etwas abgemagert von der unfreiwilligen Diät, nach insgesamt zwölf Tagen wieder einen festen Weg, und war am Abend an der Ruta 3. Doch gemein: in der kleinen Siedlung mit der erwähnten Sägemühle gab es nichts einzukaufen, und so musste ich mich im kalten Wind erstmal an die Strasse stellen und den Daumen raushalten. Doch niemand hielt an. Glücklicherweise gab es auf der Strecke \“Collectivos\“, kleine Busse, meist vom Eigentümer selbst gefahren, und mit einem davon kam ich für fünfzehn Pesos nach Tolhuin, im Rucksack nichtmal mehr einen Brühwürfel, den ich mir zu den letzten Nudeln hätte tun können. In Tolhuin quartierte ich mich in dem sehr schäbigen und offenbar einzigen Hotel am Platze ein, besorgte mir ein Pizza und einen Kakaotrunk und Kekse und ass alles auf. Zwei Stunden später kotzte ich es wieder raus – war mein Magen die viele Nahrung nicht mehr gewöhnt? Tags darauf siedelte ich um auf den Campingplatz \“Hain\“ direkt am See, und verbrachte dort drei erholsame Tage. Es war Wochenende und die Einheimischen kamen mit ihren Zelten und winzigen Wohnmobilen, in denen ganze Familien hausten, auf den Platz und assen den ganzen Tag Unmengen Fleisch. Ich war diesbezüglich noch nicht so ganz in Argentinien angekommen und begnügte mich meist mit Nudeln. Erst später ging ich in den Supermarkt oder in die Carniceria, um mir die Halbkilobrocken…
Ich entschloss mich, von Tolhuin aus auf direktem Wege durch die Wälder und Berge an die Seen Yehuin und Cheppelmuth zu wandern. Ich sah vom Campingplatz aus den Cerro Kashemi; links des Gipfels wölbte sich die Bergflanke in einer Art Pass, so dass ich nicht über den Bergrücken würde klettern müssen. So dachte ich zumindest. Der Pass lag genau in meiner Richtung, nämlich Nordwest – auf meiner Karte war sogar eine Strasse verzeichnet, die sich um den Berg herumzuwinden schien, um dann im Westen am Lago Cheppelmuth zu enden. Wenn ich diese Strasse erwischte, würde ich gut vorankommen; so war mein Plan also zurechtgelegt. Ich schulterte meinen Rucksack, drehte mich ein letztes mal zum Campingplatz „Hain“ um, wo ich es ganze drei Tage ausgehalten hatte, mehr als auf jedem europäischen Zeltplatz, und marschierte los in Richtung des anvisierten Passes. Ich liess das flache Seeufer hinter mir und schlug mich durch das Gebüsch und Unterholz den Berg hinauf. Durch die Bäume konnte ich kaum etwas erkennen und musste mich also, um zu meinem Pass zu gelangen, an die Richtung halten, die ich zuvor noch angepeilt hatte. War das dort der Pass? Ich konnte es nicht mit Bestimmtheit sagen. Von der auf der Karte eingezeichneten Strasse war nichts zu sehen. Ich kam höher und höher, und als ich einmal einen Blick auf den Berg über mir erhaschen konnte, sah ich, dass ich östlich des Passes vorbeigeklettert und gerade im Begriff war, den Cerro Kashemi zu besteigen. Nun denn, wenn schon verlaufen, warum dann nicht gleich auf den Berg hinauf… Ich stieg weiter bergauf bis zur Baumgrenze. An den schattigen Südhängen lag teilweise noch Schnee. Ich sah das erste Guanaco – abgesehen von denen, die ich in der Pampa vom Bus aus gesehen hatte – das mich gewittert hatte und nun seine seltsamen Laute austiess, eine Art meckerndes Wiehern. Ich liess meinen Rucksack zurück und kletterte über die Geröllfelder dem Gipfel entgegen. Oben angekommen eröffnete sich mir ein prächtiges Panorama: ich sah im…
vor mir lag eine vielleicht zweihundert Meter breite und die ganze Länge des Tales ausfüllende baumlose Grasebene, durch die mitten hindurch ein kleiner Bach floss. Im Licht der untergehenden Sonne grasten ganze Gruppen von Guanacos nahe des Flusses. Scheinbar waren die Tiere völlig sorglos, denn obwohl ich nur noch wenige dutzend Schritte von ihnen entfernt war, bemerkten sie mich nicht. Weiter entfernt sah ich eine Herde Wildpferde, die aus den Wäldern herabgestiegen waren, um sich ebenfalls das Gras schmecken zu lassen. Ich blieb im Schutze der Bäume einige Augenblicke stehen, um die Szenerie zu betrachten. Dann trat ich aus dem Wald heraus, die Tiere bemerkten mich, und Sekunden später war ich alleine in dem Tal. Ich schlug mein Lager auf, holte Wasser vom Fluss, ass mein Abendessen und legte mich schlafen inmitten dieser unberührten Welt. Am folgenden Tage bekam meine Machete wieder ordentlich Holz zu schmecken, doch irgendwann war der Wald zu Ende und ich kam in die freie Pampa hinaus. Gegen Abend erreichte ich den Lago Cheppelmuth und konnte gerade noch mein Zelt aufstellen, bevor es zu regnen begann. Der Wind blies stark aus Nordwesten und der See war völlig aufgewühlt, und so konnte ich das Angeln erstmal vergessen. Später am nächsten Tag machte ich mich auf, um den Lago Yehuin zu erreichen. Auf dem Weg kam ich zu der Hütte von Senor Patricio, einer Art staatlich beauftragtem Fischereikontrolleur. Nach einigem Nachfragen brachte er ein verschimmeltes Brot zum Vorschein. Den Schinken, den er mir ebenfalls anbot, pappte ich mit etwas Mayonnaise auf das Brot und ass alles auf, hungrig wie ich war. Patrico erzählte mir von dem Fluss, der die beiden Seen verband – offenbar der einfachste Weg für mich, an den Lago Yehuin zu kommen, und tatsächlich erreichte ich den See schon nach kurzer Zeit und machte erstmal Pause und warf die Angel aus, doch nichts biss an. Die beiden Seen sind insofern unterschiedlich, als dass der Lago Cheppelmuth im Grunde genommen nichts anderes ist als ein rundes…
ich führte das auf meine Ausdünstung zurück, die nach einer Woche wahrscheinlich allerübelst war. Um ihn nicht allzu sehr zu quälen, eröffnete ich ihm nach dem ersten Teller, den ich ausgelöffelt hatte, dass ich nun weitermarschieren müsse, ein weiter Weg läge noch vor mir. Das schien ihn zu beleben; er trug mir sogar Stock und Handschuhe an die Pforte des Zauns hinterher. Von der Estancia Carmen erreichte ich in kurzer Zeit die neun Kilometer entfernte RC-F. Vor mir lag nun die Pampa und, etwa fünfundachzig Kilometer weiter nördlich an der Küste des Atlantiks, Rio Grande. Ich nahm an, dass das Gehen auf der Strasse recht eintönnig werden würde, und legte mir aus diesem Grund einen genauen Tagesplan zurecht: eine Stunde gehen, Viertelstunde Pause, nach drei Stunden eine längere Mittagspause etc. Ich hatte noch einen Rest Vitaminbonbons, die ich zu vorher festgelegten Zeitpunkten ass – so hatte ich immer etwas, worauf ich mich „freuen“ konnte. Das mag sich im Nachhinein vielleicht alles etwas Übertrieben anhören, doch achzig Kilometer können einem unendlich erscheinen, wenn man sich langweilt. Und das Resultat meiner Planung war eben, dass ich keine Sekunde lange Weile hatte und am ersten Tag gut fünfunddreissig Kilometer in sieben Stunden zurücklegte. Die letzte Nacht vor Rio Grande verbrachte ich in der verlassenen Hütte eines Einsiedlers am Strand des Atlantiks, und vor dem eigentlichen Abendessen, das wie immer aus Nudeln bestand, konnte ich mir frische Muscheln kochen, die ich zuvor am Strand gepflückt hatte. Nach Rio Grande kam ich auf schliesslich auf einer alten Küstenstrasse, die seit der Fertigstellung der Ruta 3 nicht mehr benutzt wurde. Ich genoss die paar letzten Stunden in freier Umgebung, dann war ich in Rio Grande und wieder unter Menschen und ihren mehr oder weniger sinnvollen Errungenschaften. Die Tage der Erholung verbrachte ich auf dem lokalen Campingplatz direkt am Flussufer. Wenn ich mich nicht gerade um meine Arbeit als Webmaster einer Seite in Deutschland kümmerte, ass ich. Vor allem Fleisch. Der Zeltplatz befand sich auf dem Gelände…

Kapitel 2
Die Estancia Despedida

In einem kleinen Bullenhäuschen wurde mir Maté mit Zucker von den Carabiñeros angeboten. Dann nahm ich die RC-F nach Radman, vorbei an der ehemals riesigen Estancia José Menendez. Die Leute erzählen, dass es vor allem dieser war, der die Menschenjagd auf die schafeklauenden Selk’nam, auch Ona genannt, eröffnete. Bezahlt wurde das Kopfgeld für die Ohren der Indianer. Die Strasse war kaum befahren und schlängelte sich ruhig durch die sonnige Pampa. Am Strassenrand blühte der gelbe Löwenzahn – Frühling auf Feuerland. Ich spulte meine Kilometer ab, machte regelmässig Pausen. Bei der Estancia Cauchicol fragte ich nach Wasser. Zwei kleine Jungs gaben mir die vollen Flaschen zurück, ich verabschiedete mich mit Händedruck von den beiden. Hinter dem nächsten Hügel machte ich ein Päuschen, da kamen die zwei wieder an – sie hatten mich über die Hügelkuppe beobachtet. Sie setzten sich neben mich ins Gras am Strassenrand, und wir unterhielten uns über das Leben auf der Estancia und auch über Pferde. German, der zwölfjährige ältere der beiden, erklärte mir, dass es weiter im Norden Packpferde gäbe, doch auch die hiesigen Reitpferde sich zum Lastentragen eignen würden. Sein kleiner Bruder Juan war acht. Ich schlug mein Lager an einem Flüsschen zwischen den Hügeln auf. Abends wurde es wie immer sehr frisch. Am nächsten Tag wurde die Gegend merklich trockener. Im Süden konnte ich die ganzen Berge der Sierra Injugoyen sehen, dazwischen weites trockenes Weideland. Und unglaublich: ich erkannte in rund zwanzig Kilometern Entfernung, Richtung West-Südwest, meine Strasse, die an einem Hügel emporverlief und dahinter verschwand. Ich versuchte zeitweise, parallel zur Strasse in der Pampa zu wandern, doch ich merkte, dass ich da meine Gedanken nicht so gut schweifen lassen konnte, da ich dauernd auf meine Schritte achten musste, um nicht über einen Grasbüschel zu stolpern. Dadurch konnte ich auch die Landschaft kaum betrachten – also zurück auf die Strasse. Gegen Abend hatte ich dann die Strecke bis zu dem besagten Hügel zurückgelegt. Ich blickte zurück und sah nichts als eine sonnenverbrannte Landschaft, in der…
Meine Schlafstätte wurde mir zugewiesen; ich teilte mir das Zimmer mit Lilo, einem anderen Arbeiter, der ein besonders guter Tischler war. Der Raum war voller geheimnisvoller Gegenstände: Riemen, Zaumzeug, Steinschleuder an der Wand, 22er Karabiner über dem Bett (mit Zielfernrohr), Lederstiefel und Gamaschen aus Schafsfell am Boden. Es waren die Arbeitsutensilien von Lilo, und hier auf dem Lande waren das alles ganz normale Dinge. Später entdeckte ich sogar eine Bola, jenes für mich legendäre Jagdinstrument der Tehuelche: Drei Lederriemen, am einen Ende miteinander verbunden, am anderen Ende mit einem Stein- oder Metallgewicht. Diese Riemen wurden, in vollem Galopp, einem Guanaco vor die Beine geworfen, umwickelten diese und brachten das Tier zu Fall. Und wie man mir sagte, werden sie auch heute noch zu genau diesem Zwecke verwendet, obwohl das Guanaco geschützt ist… Nachdem mir mein Quartier zugewiesen worden war, ging ich erstmal wieder rüber in Sandros Hütte zum duschen. Das Fleisch köchelte bereits auf dem Ofen. Ich versuchte mich ein wenig mit den anderen am Ofen des Arbeiterhauses zu unterhalten, dann ging’s wieder rüber zum Essen. Als Nachtisch spendierte ich den Arbeitern sowie Sandro und seiner Familie zwei meiner vier wertvollen Nougattafeln, und ich glaube, sie mochten das Zeug nichtmal besonders – es war ihnen zu süss. Abends gab es zwei Stunden lang Strom vom Generator, und wir guckten fern. Davor war ich noch „formell“ Don Eduardo, oder einfach Eduardo, vorgestellt worden, um bei ihm quasi die Permiso zum Übernachten auf der Estancia einzuholen. Wir unterhielten uns ein wenig über die Pferde, und ich teilte ihm mit, wie gerne ich mehr über die Arbeit mit diesen Tieren, sprich: das Reiten, lernen würde. Er reagierte nicht unfreundlich, doch ohne irgendwelche Zusagen. Sandro hatte mir noch versprochen, am nächsten Tag mit Eduardo über meine Mitarbeit auf der Estancia zu sprechen. Ich fasste das so auf, dass ich am nächsten Morgen um fünf Uhr gleich mit ihm gehen sollte; Lilo, Sandro, der Patron sowie Gastons Vater machten sich nämlich zu Pferde auf in…

Kapitel 3
Die Señalada

Ich strich jedenfalls die Rückseite der Garage zu Ende und verkündete Mario anschliessend, ich hätte nun noch ein paar Dinge mit meiner Mochilla zu erledigen. Ich dachte daran, den Nachmittag noch irgendwie mit den anderen zu verbringen, so viel wie möglich zu essen und am nächsten Morgen weiterzuziehen. Schliesslich kam mir mein eigenes Abendteuer auch nicht langweiliger vor als die für mich phantastisch wirkende Arbeit eines Gauchos auf einer Estancia. Doch es sollte anders kommen. Denn wie ich so dalag und mehr oder weniger auf das Abendessen wartete, stand auf einmal Francisco im Zimmer, der Sohn Eduardos, und lud mich spanisch sprechend zur morgigen Señalada ein – er machte dabei eine Handbewegung, als würde er ein Seil, an dessen unterem Ende ein Gewicht befestigt ist, durchschneiden. Zur Zeit der Señalada, die einmal im Jahr stattfindet, die jungen Kälber markiert werden, wobei den jungen Bullen zusätzlich die Hoden entfernt werden, was Francisco mit seiner Pantomime andeuten wollte. Ich sagte natürlich sofort zu, und Francisco riet mir, meine Kamera mitzunehmen, um möglichst viele Fotos zu schiessen. Wir verabredeten, dass er am nächsten Morgen mit dem Jeep vor dem Arbeiterhaus auf mich warten würde. Und so fuhren wir am folgenden Tag in aller Frühe hinaus zum Corral, der sich rund fünf Kilometer weg von der Estancia im Hinterland befand. Am Corall angekommen warteten wir auf die Reiter, die die Mutterkühe mit den Kälbern von der Weide und aus dem Wald in das Gatter treiben würden, wo die Tiere dann getrennt und „bearbeitet“ werden würden. Doch Sandro, Lilo, Eduardo und der Vater von Gaston, dessen Namen ich dauernd vergass, waren nirgends zu sehen, und so unterhielten wir uns auf Englisch über die verschiedensten Dinge, so z.B. die Zukunftspläne Franciscos, der nach Buenos Aires auf die Uni wollte, um eine „Career“ zu machen. Nebenbei erzählte er mir, wie wertvoll Sandro für die Estancia war, Aufgrund seines Wissens über die Tiere und die Arbeit und seiner Fähigkeit, zuzupacken wie kein anderer. Ich sprach das indianische Aussehen…
Nachdem alle einundachtzig Kälber im entspechenden Bereich waren, wurde rund die Hälfte von ihnen durch ein weiteres Gatter in den nur etwa zehn mal vier Meter grossen Bereich der Señalada getrieben. Währenddessen hatte Eduardo bereits mehrere Kisten herangeschleppt, in denen sich das Werkzeug zum Markieren der Ohren, eine Art Spritze zum Impfen sowie weitere mir unbekannte Dinge befanden. Gastons Vater hatte ein kleines Messer, das er nun zu schärfen begann – das eigentliche Kastrieren war seine Aufgabe, während Don Eduardo das Markieren der Ohren und Stutzen der Hörner übernahm. Sandro, Lilo und Francisco waren dazu da, um die Tiere zu Boden zu werfen und festzuhalten. Dann begann das Ganze. Ich nahm meinen Fotoapparat und machte von jedem Arbeitsgang ein Foto. Dann stand ich da und dachte mir, dass die anderen über ein wenig Hilfe froh sein würden, und ausserdem wollte ich lernen, wie man ein Kalb zu Boden wirft. Ich zog also meine Jacke aus, um sie nicht mit Kuhmist zu bekleckern, nahm meine Bundeswehrhandschuhe und kletterte über das Gatter. Francisco hatte gerade eines der Kälber zu Boden gerungen und lachte nun, als er sah, dass ich mithelfen wollte. Er wies mich an, wie ich das Kalb an den Hinterbeinen packen sollte, während es am Boden lag. Das in die Luft gestreckte Hinterbein wird dabei gepackt und nach hinten gezogen, während man mit dem Fuss den Oberschenkel des anderen Beines von sich wegdrückt, um sich vor den Tritten des Tieres zu schützen. Wie das Tier dann am Boden festgehalten wurde, kamen entweder Eduardo oder Gastons Vater, um ihre Arbeit zu erledigen. Die abgeschnittenen Hoden der jungen Stiere flogen dabei links und rechts über den Zaun, als Festessen für die Hunde. Nachdem ich bei dieser Prozedur ein paarmal mitgemacht hatte, wollte ich es selber versuchen, ein Kalb zu Boden zu ringen. Dabei gibt es zwei Methoden: entweder man packt das Kalb am hinteren Teil des Körpers, wo der Oberschenkel in den Bauch übergeht, sowie am Hals, hebt es in die Luft,…
Abends kam Gaston von seinem Arztbesuch in Rio Grande zurück (er hatte sich bei der Jinetada, einer Art Rodeo, die Knochen gebrochen). Ich hatte ihm Geld gegeben und ihn beauftragt, Bier zu besorgen. Das Bier war nun da, und das Besäufnis konnte starten, welches keines wurde, da pro Mann knapp ein Liter zur Verfügung stand. Am Morgen verabschiedete ich mich von allen. Nach Radman, dem Grenzübergang nach Chile, waren es etwas mehr als dreissig Kilometer, die ich bei kühlem, idealem Wanderwetter in einem Stück zurücklegte. Gegen Mittag fing es an, in meinem Bauch zu rumoren. Ich schaffte es gerade noch bis zu einem Gebüsch an der Strasse, dann floss es nur so aus mir heraus. Das erste Mal, dass ich auf einer meiner Reisen Durchfall bekam. Und wie froh war ich, als ich dann später in meinem Erste-Hilfe-Kasten ein paar Kohletabletten fand, die mir meine Schwester noch mitgegeben hatte. In Radman, grossartig als „Paso International Bella Vista“ ausgezeichnet, wurde mein Pass von zwei ziemlich verpennten Zollbeamten abgefertigt; der eine hatte keine Lust, der andere keinen Plan. Waren sie deshalb hierher versetzt worden? Auf dem Grundstück der Polizei campen durfte ich nicht. Also ab nach Chile. Doch ich guckte ziemlich dumm, als ich feststellen musste, dass es über den Rio Radman, der an diesem Punkt den Grenzverlauf bildet, gar keine Brücke gab. Um also die Grenze passieren zu können, musste ich die Schuhe ausziehen und durch den Fluss waten! Warum es also an diesem Punkt einen Grenzübergang gibt, aber keine Brücke, das ist tiefere südamerikanische Logik, die ich mir auch jetzt noch nicht ganz habe aneignen könnnen. Das Ganze war dann auch ein etwas seltsamer Abschied von einem Land, dessen Landschaft und Menschen mir in den Wochen zuvor ganz gut gelegen hatten.

Kapitel 4
In Chile

So schaffte ich es an jenem Abend auch nicht mehr bis Pampa Guanacos, dem chilenischen Grenzposten, sondern schlug mein Lager gleich hinter dem wackeligen Holzzaun auf, der die eigntliche Grenze darstellte. Nebenan war ein Entwässerungsgraben, den ich als Abort benutzte. Die Leute von der Estancia ein paar hundert Meter die Strasse runter kamen neugierig an, um sich über mich schlauzumachen. Am nächsten Tag ging ich rüber zu ihnen zum Mittagessen, und zockte ihnen dabei das Klopapier, was mir ein wenig schlechtes Gewissen verursachte, doch mein eigener Vorrat war aufgebraucht. Ich machte mich auf den Weg nach Pampa Guanacos, vierzehn Kilometer entfernt, und schluckte unterwegs fleissig weiter meine Kohletabletten und liess es in die Natur pfladdern. Zwei Kilometer vor dem Grenzposten kam mir ein Geländewagen entgegen, und der Carabiñero lud mich ein, mitzufahren, und ausnahmsweise nahm ich die Gelegenheit einmal wahr und stieg ein. Das war wieder der Beginn einer ganzen Reihe von Ereignissen. Zunächst fuhren wir vom Grenzposten weg ins Hinterland; irgendwo war ein Wagen im Fluss stecken geblieben, und die Leute hatten die Carabiñeros um Hilfe angerufen. Bei einer nahen Estancia hielten wir kurz an, und zwei weitere Männer stiegen zu uns in den Wagen. Weiter ging es auf schlammigen Pisten an den Fluss, und dort steckte tatsächlich mitten im knietiefen Wasser ein Pickup-Truck fest, und drinnen sass einer und rauchte eine Zigarette. Anscheinend sass er da schon sechs Stunden, denn so lange hatte sein Kumpan benötigt, auf der Estancia Hilfe zu holen. Die beiden Männer wateten nun ins Wasser, und ein Seil wurde zwischen dem Wagen des Carabiñeros und dem Pickup-Truck befestigt. Doch beim ersten Versuch, den Wagen freizubekommen, riss das Seil. Ich hielt mich abseits und betrachtete das Ganze, wie es sich für einen guten Touristen gehört. Beim zweiten Versuch hielt das Seil zwar, doch der Wagen bewegte sich keinen Zentimeter, obwohl die beiden im Wasser am Kühler schoben und hoben wie verrückt. „Uno mas!“, einer mehr, riefen sie mir zu. Was sollte ich also machen; ich…
Anschliessend fuhren wir alle zurück, und als Dank für meine Mithilfe wurde ich eingeladen, auf der Estancia zu übernachten, doch da ich dadurch rund zehn Kilometer zum Grenzposten hätte zurückmarschieren müssen, entschloss ich mich, mit dem Carabiñero nach Pampa Guanacos weiterzufahren. Dort angekommen wurde ich eingeladen, mich in die warme Stube zu setzen, was mir gut gefiel. Mein Gastgeber fing gleich an, Brot zu backen, und ich sass da und wunderte mich über diesen Anblick eines Uniformierten, der am Tisch steht und Teig knetet. Zwei Personen in Zivil betraten den Raum: Alejandro und sein Kumpel. Die beiden waren vom chilenischen Militär und warteten hier auf ihre Familien, mit denen sie das Wochenende am Lago Deseado verbringen wollten. Wir kamen ins Gespräch, und ich zeigte ihnen mein Konservendosen-Angelgerät. Spontan luden sie mich ein, die zwei Tage mit ihnen am See zu verbringen. Die Entscheidung fiel mir einigermassen schwer – ich wollte in meinem leicht fiebrigen Zustand eigentlich nichts anderes, als in der warmen Grenzhütte zu sitzen und auf das Abendessen zu warten, das ich zweifellos vorgesetzt bekommen würde. Andererseits wusste ich, dass dies die einzige und letzte Gelegenheit war, doch noch in die Berge und an den Lago Deseado zu kommen. Ich konnte mich nicht entscheiden und warf am Ende eine Münze, und die Münze entschied auf das Wochenende am See. Der Carabiñero bot mir an, die Dinge, die ich in den zwei Tagen nicht benötigte, für mich aufzubewahren, ausserdem gab er mir als Verpflegung eine riesige Hammelkeule mit. Unterdessen waren die Familien der beiden anderen angekommen, und nach einem kurzen Schwatz mit den Polizisten fuhren wir alle los in die Berge. Ich sass mit Alejandro zusammen in seinem Militärjeep und erfuhr ein wenig über seine Arbeit als Instructor bei der chilenischen Armee. Mittlerweile begann es zu dämmern, als sich unser kleiner Konvoi in die Berge hinaufzuschlängeln begann. Ringsum Schnee und Eis und dunkle Gipfel. Oben auf dem Bergrücken bot sich uns ein kurzer Ausblick auf die tief unten im Tal…
Ich marschierte los, und gleich hinter der ersten Baumgruppe traf ich auf die Gebäude eines weiteren Jagd- und Angelclubs, diesmal aus Cerro Sombrero. Ich lernte auch den „Aufpasser“ des Clubs kennen, Pedro Nenden, einen vierundzwanzigjährigen Chilenen mit indianischem Aussehen, der in Santiago ein Jahr im Knast gesessen hatte, weil er betrunken randaliert hatte. Als wir zum See gingen, um zu angeln, sah ich zwei Wohnwagen ankommen. Ich ging hinüber; es waren zwei deutsche Ehepaare in ihren selbst umgebauten Reisemobilen. Ich wurde eingeladen, in einem der Fahrzeuge ein Glässchen Wein zu trinken, und wie ich das Gespräch auf meine Reise und die knappen Vorräte brachte, da legten sie zwei Packungen Spaghetti vor mich auf den Tisch, und obendrauf noch eine Packung Kekse. Da mir Nenden ebenfalls ein paar Dinge verkaufen konnte, hatte ich nun genug beisammen, um die Route südlich des Lago Blanco zu wagen! Am nächsten Tag brach ich auf. Es regnete in Strömen, was mir zunächst nicht viel ausmachte. Was mich mehr störte war, dass ich durch die tiefhängenden Wolken von der Bergwelt ringsum nicht viel zu sehen bekam. Die Carabiñeros von Pampa Guanacos hatten mir zuletzt noch versichert, ein Wandern am Ufer des Sees sei „unmöglich“, da es dort keine Wege gäbe. Was ich nun aber vor mir sah, war vielleicht kein Weg, sondern vielmehr ein Pfad, doch zum zügigen Vorwärtskommen reichte es. Wer war hier wohl am Werke gewesen und hatte all die Baumstämme durchgesägt und Büsche gerodet? Der hiesige Angelclub vielleicht? Die Antwort fand sich von selbst, als ich nach fünf Stunden marschieren im Regen eine kleine Holzhütte zwischen den Bäumen erblickte. In dem Moment, als ich an der Hütte vorbeikam, stieg Rauch aus dem Kamin – Holz wurde im Ofen nachgelegt. Ich musste auch hier nicht anklopfen, da mich die Hunde schon bemerkt und so ihren Besitzer auf mich aufmerksam gemacht hatten, und als sich die Tür öffnete, stand da ein kleiner Mann von vielleicht eins fünfundsechzig und schaute mich verwundert an. Was an ihm…
Abends erzählte er mir von seiner Arbeit mit den Biberfallen. Zwölf Stück hatte er, und damit fing er jeden Tag rund drei Biber, deren Fell und Schwänze er verkaufte. Ich bat ihn, bei seinem allmorgendlichen Kontrollgang der Fallen mitkommen zu dürfen, und er hatte nichts dagegen. Die kleine Hütte war aus ziemlich roh zusammengezimmerten Balkengebaut, durch die der Wind nur so hindurchpfiff – wirklich warm war es nur in der Nähe des Ofens, denn obwohl es bereits Frühling war, herrschte auf Feuerland meist noch ein recht frisches Klima. Nachts zog ich mir den Schlafsack bis unter die Nase, und die Daunen hielten mich auch dieses mal warm. Am nächsten Morgen nach einem kleinen Frühstück machten wir uns auf den Weg zu den Fallen. In den Bergen ringsum hatte es geschneit, doch der Himmel war blau und die Sicht war klar. Mein Gastgeber trug eine Art Leinensack auf dem Rücken, in den er die wertvollen Biberteile hineinpackte. Gleich bei der zweiten Falle hatten wir Glück: ein vielleicht vierzig Zentimeter langer und wohl über zehn Kilo schwerer Biber lag tot im Wasser, die massive Eisenfalle hatte ihm das Genick gebrochen. Das Tier wurde an Land gezogen und der Länge nach aufgeschlitzt. Anschliessend wurde mit einem Messer ganz vorsichtig das Fell abgezogen. Das Rückenfleisch nahmen wir ausserdem zum Essen mit, als der einzige Teil des Bibers, der wirklich gut mundet. Der Rest wurde den Hunden zum Frass vorgeworfen. Nun hatte ich alles gesehen, und da ich nicht viel helfen konnte, ging ich zur Hütte zurück, und als mein neuer Bekannter, dessen Namen ich übrigens nie erfragt habe, genausowenig wie er meinen, zur MIttagszeit von seiner Tour zurückkehrte, lag die frisch gefangene Forelle bereits in der Pfanne, und auf dem Ofen köchelten die Nudeln. Nach dem Essen fing er an, die neuen Felle unter einem speziell dafür gebauten Schutzdach aus Holz zum Trocknen aufzuspannen, wobei er die fast kreisrunden Felle straff gespannt auf den Holtplanken festnagelte. Anschliessend lernte ich etwas über die chilenische Montura,…
Der See lag spiegelglatt vor den Bergen, und im seichten Wasser sah ich die Rückenflossen von unzähligen Forellen, von denen eine mein Mittagessen wurde. Am späteren Nachmittag kam ich an einen Fluss, der zu breit war, als dass ich auf irgendwelchen umgestürtzten Baumstämmen ans andere Ufer hätte gelangen können. Das Wasser war trüb und floss träge dahin, und ich konnte seine Tiefe absolut nicht einschätzen. Am Ufer versank ich bis zu den Knien im Schlamm, und meine roten Gummitreter blieben stecken, so dass ich sie mit der Hand herausziehen musste, wobei ich jedesmal das Gleichgewicht zu verlieren drohte. Schliesslich riskierte ich es einfach und watete in den Fluss, mich immer vorsichtig mit dem Trekkingstock vorantastend. Zur Flussmitte hin wurde das Wasser immer tiefer, doch ich hatte Glück, denn als ich das andere Ufer erreichte, war ich nur bis zur Hüfte nass geworden. Ich machte mir ein Feuer, um die nassen Hosen zu trocknen, und als ich einmal fünf Minuten nicht aufpasste, brannte mir die Glut ein riesiges Loch ins linke Hosenbein. Nun gut, jetzt konnte ich meinen Marsch durch die Wildnis halt mit einer Hose beginnen, durch die der Wind hindurchpfiff. Mein Weg führte mich weiter nach Westen, und da ich mir einen Überblick über die Gegend verschaffen wollte, kletterte ich auf einen Berg, der unmittelbar an der Südküste des Lago Blanco emporragte. Oben angekommen gefiel mir der Ort so gut, dass ich hinter einem kleinen Schneefeld mein Zelt aufbaute, mit nach Westen gerichtetem Eingang, was ein Fehler war. Mitten auf dem Gipfel des Berges thronte ein riesiger Felsbrocken, auf dem es sich bequem sitzen und in die Gegend spähen liess. Im Westen erstreckte sich eine Ebene scheinbar bis an die Westküste der Insel, ich sah Wald und eine Menge Turbia; unterbrochen wurde diese Ebene nur von einem langgezogenen Hügel und zwei dahinter aufragenden Gipfeln. Im Norden lagen die Seen Lynch und KeineAhnung, südlich trennten eine Reihe von vielleicht achthundert Meter hohen Gipfeln die Ebene vom Almirantazgo-Fjord ab. Das sah…
Als ich gerade mit meinem Essen beschäftigt war, hörte ich auf einmal aus der Richtung meines Zeltes ein seltsames, fauchendes und zischendes Geräusch. Ich drehte mich um und traute meinen Augen nicht: hinter meinem Zelt hockte ein Biber von etwa der Grösse, wie ich ihn neulich zusammen mit dem Fallensteller aus dem Wasser gezogen hatte! Ganz offensichtlich hatte ich mein Zelt auf einem Pfad platziert, den er benutzte, um Abends zurück zu seinem See zu gelangen. Nun hockte er da und schien nicht weiterzuwissen. Ich ging hin und stubste ihn mit meinem Trekkingstock ein wenig in die Seite. Der Biber fauchte und – griff an! Vor lauter Überraschung stolperte ich ein paar Schritte zurück, dann zog ich ihm mit meinem Stock eins über den Schädel. Das schien ihn erstmal ein wenig abzukühlen. Ich überlegte: ein, zwei Schläge mit der Machete, und ich hätte leckeres Biberfleisch im Überfluss. Doch die Verwirrung des Nagers über seinen plötzlich versperrten Feierabendweg schien so offensichtlich und dabei so verständlich, fast menschlich, dass ich, verwichlichter Grossstädter der ich nunmal bin, die Machete stecken liess. Während ich so vor mich hin überlegte, hatte sich der Biber scheinbar wieder gesammelt und kam mit einem Satz auf mich zugesprungen, wobei der die hintere Sturmabspannung des Zeltes mit sich riss! Ich versetzte ihn wieder einen Schlag mit dem Stock, und erneut zog er sich ein paar Schritte zurück. Das Vieh konnte sich auf einen ordentlichen Kopfschmerz gefasst machen. Da mein Essen weiterhin vor sich hinkochte, liess ich den Biber einfach sitzen und ging hinüber zum Feuer. Hin und wieder blickte ich zurück: er schien anstalten zu machen, links oder rechts am Zelt vorbeizugehen, war sich aber offensichtlich nicht schlüssig, in welche Richtung er sich wenden sollte. Endlich fasste er sich ein Herz und watschelte vorbei, hin zu seinem See. Und ich konnte endlich essen. Von der Höhe des Hügels aus hatte ich wiederum einen sehr guten Weitblick, und ich sah, dass die Reihe der Berge im Süden an einer Stelle…
Doch es war tatsächlich so, und der Ort hatte noch mehr zu bieten: ich hatte einen Privatstrand mit Muschelbänken gleich nebenan, und ein kleines Flüsschen versorgte mich mit dem nötigen Trinkwasser. Direkt hinter einem mannshohen Strauch fand sich eine ebene Stelle, so dass ich Schutz hatte vor dem kalten Wind. Die Bäume ringsum waren voller Pan del Indio, mit dem ich nun irgendwelche Kochexperimente anstellen konnte. Am Nachmittag des Neunundzwanzigsten ging ich hinüber zu jener kleinen Estancia am Rio Parallela. Das Ganze wäre woanders nicht viel mehr als ein Puesto, ein Aussenposten einer Estancia gewesen: ein paar kleine Hütten aus verwittertem Holz standen auf der Wiese nahe des Flusses, dazu ein paar Hundehütten. Dazwischen zwei grosse Bäume, in denen tote Robben hingen – Futter für die Hunde. Als ich anklopfte, öffnete mir ein kleiner, etwas überrascht wirkender Mann die Tür. Er war etwas nach vorne gebeugt, trug Gummistiefel und war wohl so fünfzig Jahre alt. Ich wurde hereingebeten in einen Raum, wie ich ihn danach noch so oft auf vielen anderen Estancias gesehen habe: Tisch und Stühle aus Holz und robust gezimmert, dazu ein Ofen, ein paar Bilder von Szenen aus dem Leben der Gauchos an der Wand, allesamt vergilbt, eine Kiste mit Feuerholz. Ich unterhielt mich ein wenig mit dem Mann, doch erhielt nur sehr einsilbige Antworten. Ich hatte seit ein paar Tagen nicht mehr geduscht und nehme an, dass ich daher nicht den allerbesten Eindruck hinterliess. Wie dem auch sei, ich hatte Geburtstag und wollte was ordentliches zu essen haben, ich fragte nach Fleisch. Aus einem Nebenzimmer wurde eine riesige Hammelkeule geholt und vor mir auf den Tisch gelegt, ich wollte jedoch lediglich die Hälfte, immerhin noch rund ein Kilo Fleisch. Mein Geld hatte ich im Zelt gelassen, nahm mir aber vor, später nochmals wiederzukommen, um für die grosszügige Gabe zu bezahlen. Mit dem Fleisch machte ich mir ein ordentliches Festessen mit allem, was der Rucksack hergab. Am Mittag des nächsten Tages watete ich nochmals durch den Fluss,…
Er zeigte mir auch Fotos von einem Trupp Arbeiter einer Firma, die in der Gegend nach Erdöl gesucht hatte. Mit riesigen Maschinen waren sie durch die Ebene gekommen, und sobald die Maschinen anhielten, versanken sie in dem morastigen Boden. Öl hatten sie glücklicherweise keines gefunden. Die Fotos waren zehn Jahre alt, und er zeigte mir auch Aufnahmen von sich aus jener Zeit. Ich konnte kaum glauben, dass dies derselbe Mann war, dem ich nun gegenübersass. Offenbar hatten ihn die letzten Jahre einiges an Kraft gekostet, so ging er auch immer leicht nach vorne gebeugt. Sein Kumpan war in Porvenir, den ganzen November schon, und wann er zurückkam, war ungewiss. „Noch ein bis zwei Jahre“ sagte er, „dann verkaufe ich die Kühe und lasse mich irgendwo anders nieder. In Los Angeles vielleicht, dort komme ich her.“ Los Angeles, Chile wohlgemerkt, eine kleine Ortschaft ein paar tausend Kilometer weiter nördlich. Er lud mich zum essen ein, wobei mir auffiel, dass er die Fleischstücke im Topf unberührt liess, und die Suppe war ziemlich wässrig. Auf dieser Estancia waren die Dinge knapp geworden. Als ich mich verabschieden wollte, sagte er „Bleib doch noch ein Weilchen“. Wir unterhielten uns noch ein wenig über Deutschland , verglichen die Preise für die verschiedenen Dinge des Lebens hier und dort, während draussen der Wind um die Balken pfiff. Als wir uns dann entgültig verabschiedeten, hatte er feuchte Augen, was mich sehr verwunderte – was für eine Wandlung zum Vortag. Ich wünschte ihm alles Gute und ging zurück zu meinem Zelt. Mein Fleisch war weg. Ich hatte es in einen Baum gehängt, zum Schutz vor der Sonne. Nun hatte sich irgendwer oder irgendwas damit aus dem Staub gemacht. Die Raubvögel? Die Hunde der Estancia? Ich hatte keine Ahnung, aber verdammt, nun gab es wieder nur Nudeln. Die letzte Hoffnung war das Fischerboot in der Bucht nebenan – dort war vielleicht noch etwas zu bekommen. Ich kletterte über die Klippen, und als mich die Fischer sahen, wurde sofort ein kleines…

Kapitel 5
An Bord der Cisne IV

Um halb fünf Uhr nämlich, und ich verstaute alle Sachen in Rekordzeit in meinem Rucksack und kletterte abermals über die Klippen, und als ich in der Fischerbucht ankam lagen natürlich noch alle in den Kojen und schnarchten. Ich klopfte und pfiff, und Manuel, der auch am Vortag noch der gesprächigste gewesen war, wurde als erster wach und liess mich in die Kabine. Dann wurde Maté getrunken und Brot mit Marmelade gegessen, dann Kaffee getrunken und Zähne geputzt, endlich noch die Arbeitskleidung angezogen, und bis wir ausliefen, war es acht Uhr morgens geworden. Das mit den sechs Uhr in der Früh hatte wohl mehr etwas mit Fischerstolz zu tun gehabt. Der Himmel war verhangen und die See ging ziemlich hoch, der Wind pfiff mit etwa fünfzig Knoten, wie ich später erfuhr, das sind rund hundert Stundenkilometer. Doch Manuel und Hektor, sein etwas jüngerer Kollege, gingen auf Deck herum, als hätten sie Haftsohlen an den Schuhen. Nicht so ich: in meiner Regenkleidung stand ich nahe der Kabine und hielt mich an der Reling fest; tat ich das nicht, fing ich sofort an, auf dem glitschigen Deck herumzustolpern. Es ging nun zunächst darum, die etwa fünfhundert Meter langen Netze, die sie an der Küste des Fjords ausgelegt hatten, ins Boot zu holen und die Centollas, zu deutsch Meeresspinne, ans Tageslicht zu bringen. Diese Centollas waren eine äusserst wohlschmeckende Sache und vor allem für den Export nach Japan bestimmt. Nachdem die Boje des Netzes in der aufgewühlten See gesichtet war, wurde sie mit einem Metallhaken an Bord gezogen. Nun stellte sich einer an den Bug des Bootes und begann, das grobmaschige Netz mit blosser Muskelkraft heraufzuziehen, wobei der andere hinter ihm stand und es auf dem Deck auftürmte und die Centollas daraus losmachte, die mit ihren rotweissen Zangen um sich schnappten. Doch die Netze waren weitestgehend leer, und nur Seetang und hin und wieder ein Rochen oder kleiner Hai hatte sich darin verfangen – nach zwei Monaten war der Meeresboden weitesgehend leergefischt. Ich stand…
Kaum zurück im ruhigen Wasser der Bucht, als ich mich auch schon wieder besser fühlte und sich mein Magen mit einem ordentlichen Appetit zurückmeldete. Der Rest des Tages wurde mit Faulenzen und kleinen Arbeiten verbracht. Ich lernte ein paar neue Seemannsknoten, die ich mir genau in mein Notizbuch notierte. Einer davon brachte mich schier zur Verzweiflung, bis ich merkte, dass es der ganz normale Schnürsenkelknoten war, auf eine neue Art angewendet. Einem halben Dutzend der gefangenen Centollas wurden die Beine ausgerissen und gekocht, und dann sassen wir alle auf Deck und pulten das Fleisch aus dem Panzer der Tiere. Das Ganze kam in eine Art Gratinform, zur späteren Zubereitung des Abendessens. Ich zeigte den dreien auch die Bilder meiner bisherigen Reise, und als Manuel das Foto von meinem Geburtstagsessen sah, war er verblüfft – den Brocken Fleisch hatte es ja tatsächlich gegeben! Im Zusammenhang mit dem Umstand, dass Manuel ein Tehuelche-Mestize war, erinnerte mich das erneut an die von C. Musters beschriebenen Charakteristiken dieser ehemals legendären Jäger: die Tehuelche hatten nämlich die Angewohnheit, in kleineren Dingen schlichtweg die Unwahrheit zu sagen. Bei grossen Dingen von Bedeutung, wenn es zum Beispiel um den Fortbestand ihrer Sippe oder die Verhandlung von irgendwelchen Jagdrechten ging, hielten sie sich jedoch strikt an die Wahrheit. Auch Musters hatte mit dieser Neigung zum Flunkern Bekanntschaft gemacht, bis die Tehuelche merkten, dass er für seinen Teil sich immer an die Wahrheit hielt, und von da an hörten sie zumindest ihm gegenüber auf mit den falschen Geschichten. Auch Manuel war ganz offensichtlich davon ausgegangen, dass ich bei meinen Erzählungen das eine oder andere hinzuerfunden hatte. Dass er nun quasi den digitalen Beweis meiner Aussagen vor sich sah, schien seine Einstellung mir gegenüber im Positiven zu verändern. Dann endlich ging es zu Tisch: Manuel hatte eine Centollaplatte hergerichtet, die unter anderem aus dem Fleisch der Tiere, Mayonnaise, Zwiebeln und Kräutern bestand, dazu gab es frisch frittierte Tortas. Eine Gabel voll von dieser Platte und ein herzhafter Biss in eines…
Puerto Arturo war eine kleine Estancia, vermutlich eine der abgelegensten von ganz Feuerland, und die Leute dort sahen wohl nicht viele Ausländer die Strasse entlangkommen – zumindest nicht aus der Richtung, aus der ich jetzt kam. Ich traf pünktlich zum Mittagessen ein, wurde eingeladen mitzuessen und dabei ausgiebig bestaunt; vor allem die Frau des alten Estancieros konnte es schier nicht glauben, dass hier ein Fremdling zu Fuss unterwegs war. Doch leider, sei es nun die Einfalt dieser Leutchen vom Lande, seien es meine immer noch vorhandenen Schwierigkeiten, das schnell gesprochene patagonisch eingefärbte Spanisch der Landarbeiter zu verstehen, bekam ich keine richtige Auskunft über meinen weiteren Weg nach Puerto Yartou. Und so nahm ich ganz selbstverständlich an, dass ich jener gut befestigten Strasse, die an der Estancia vorbei und in den nahen Wald führte, weiter folgen musste. Nach einer halben Stunde Marsch kam ich im Wald an eine Kreuzung, und folgte auf gut Glück dem nach rechts entlang einer Lagune führenden Weg. Doch dieser führte immer nur nach Osten, weiter in den Wald hinein, und nach einer Viertelstunde kehrte ich um und ging zurück zur Kreuzung und nahm die linke Abzweigung. Dieser Weg schien dem Küstenverlauf zu folgen. Doch nach fast zwei Stunden Marsch hörte die Strasse mittem im Wald auf. Da war ein Fluss, den ich durchwatete, doch auch am anderen Ufer keine Spur mehr irgendeines Pfades oder Weges, dem ich nach Puerto Yartou hätte folgen können. Was nun? Sich stundenlang mit der Machete durch den Wald an die Küste schlagen und dann am Strand entlang wandern? In Gedanken war ich natürlich schon in Porvenir und bei meinem Beefsteak mit Pommes gewesen, einem schönen weichen Hotelbett und einer Flasche Bier. Ich bekam eine Mordswut und entschloss, nach Puerto Arturo zurückzumarschieren – nur dort konnte man mir den richtigen Weg weisen. In einer Dreiviertelstunde rannte ich fast zurück zu jener Kreuzung und war kurz darauf wieder bei der Estancia, die ich zur Mittagszeit verlassen hatte. Und dort erfuhr ich es: jene…
Später, je weiter ich nach Norden kam, wurde der Weg besser und die Reifenspuren deutlicher, und als ich in Puerto Yartou ankam, war aus dem kaum erkennbaren Pfad wirklich eine gut begehbare Küstenstrasse geworden. Puerto Yartou war in den vergangenen Jahrzehnten ein wichtiger Holzumschlagplatz gewesen, die kahlgeschlagenen Hügel der Umgebung zeugten noch von jenen Zeiten. Heute sind die meisten Hütten verfallen, alte Lastwagen und noch viel ältere Dampfmaschinen stehen im wuchernden Gras und warten darauf, vom Rost endgültig zernagt zu werden. Nur eine Hütte war noch bewohnt von zwei Viehzüchtern, und etwas weiter unten am Strand waren eine Anzahl kleiner Fischerhütten zu erkennen. Es war gerade Saison, und die Küste war voll von Fischkuttern, doch wonach genau sie hier die Netze auswarfen, verstand ich leider nicht. Bald darauf kam ich an die Bahia Inutil und sah das gegenüberliegende Ufer; in einer Woche erst würde ich dort sein, denn es galt, die gesamte Bucht zu umrunden, ein Weg von etwa einhundertfünfzig Kilometern. Unterwegs schlug ich unzählige Mitfahrangebote aus – ich wollte Feuerland auf die richtige Art beenden. Endlich, am sechzehnten Dezember, genau zwei Monate nach meinem Aufbruch in Ushuaia, sah ich vor mir die kleine Stadt Porvenir, Fährhafen nach Punta Arenas und dem patagonischen Festland. Ich mietete mich in einem kleinen günstigen Hotel ein und ging los, um Alejandro zu besuchen und meinen Laptop abzuholen. Doch dort erstmal eine unschöne Überraschung: die Dinge, die ich ihm zur Aufbewahrung anvertraut hatte, lagen überall in seinem Haus verstreut, und bei dem Durcheinander, das dort herrschte, sah ich etwa die Hälfte jener Dinge nie wieder. Zudem hatte sich Alejandro mit einem kleinen Programm Zugang zu meinem Laptop verschafft, um damit im Internet surfen zu können. Dabei hatte er mein Benutzerkonto gelöscht, und nur mit Glück meine ganzen Fotos der bisherigen Reise unberührt gelassen. Da Porvenir zudem recht teuer war in Hinsicht auf Lebensmittel und Kommunikation mit meiner Familie in Übersee, setzte ich bald darauf mit der kleinen Fähre nach Punta Arenas über. Ich blickte…