Durch die Wildnis von Feuerland

Kapitel 2
Die Estancia Despedida

In einem kleinen Bullenhäuschen wurde mir Maté mit Zucker von den Carabiñeros angeboten. Dann nahm ich die RC-F nach Radman, vorbei an der ehemals riesigen Estancia José Menendez. Die Leute erzählen, dass es vor allem dieser war, der die Menschenjagd auf die schafeklauenden Selk’nam, auch Ona genannt, eröffnete. Bezahlt wurde das Kopfgeld für die Ohren der Indianer. Die Strasse war kaum befahren und schlängelte sich ruhig durch die sonnige Pampa. Am Strassenrand blühte der gelbe Löwenzahn – Frühling auf Feuerland. Ich spulte meine Kilometer ab, machte regelmässig Pausen. Bei der Estancia Cauchicol fragte ich nach Wasser. Zwei kleine Jungs gaben mir die vollen Flaschen zurück, ich verabschiedete mich mit Händedruck von den beiden. Hinter dem nächsten Hügel machte ich ein Päuschen, da kamen die zwei wieder an – sie hatten mich über die Hügelkuppe beobachtet. Sie setzten sich neben mich ins Gras am Strassenrand, und wir unterhielten uns über das Leben auf der Estancia und auch über Pferde. German, der zwölfjährige ältere der beiden, erklärte mir, dass es weiter im Norden Packpferde gäbe, doch auch die hiesigen Reitpferde sich zum Lastentragen eignen würden. Sein kleiner Bruder Juan war acht. Ich schlug mein Lager an einem Flüsschen zwischen den Hügeln auf. Abends wurde es wie immer sehr frisch. Am nächsten Tag wurde die Gegend merklich trockener. Im Süden konnte ich die ganzen Berge der Sierra Injugoyen sehen, dazwischen weites trockenes Weideland. Und unglaublich: ich erkannte in rund zwanzig Kilometern Entfernung, Richtung West-Südwest, meine Strasse, die an einem Hügel emporverlief und dahinter verschwand. Ich versuchte zeitweise, parallel zur Strasse in der Pampa zu wandern, doch ich merkte, dass ich da meine Gedanken nicht so gut schweifen lassen konnte, da ich dauernd auf meine Schritte achten musste, um nicht über einen Grasbüschel zu stolpern. Dadurch konnte ich auch die Landschaft kaum betrachten – also zurück auf die Strasse. Gegen Abend hatte ich dann die Strecke bis zu dem besagten Hügel zurückgelegt. Ich blickte zurück und sah nichts als eine sonnenverbrannte Landschaft, in der…
Meine Schlafstätte wurde mir zugewiesen; ich teilte mir das Zimmer mit Lilo, einem anderen Arbeiter, der ein besonders guter Tischler war. Der Raum war voller geheimnisvoller Gegenstände: Riemen, Zaumzeug, Steinschleuder an der Wand, 22er Karabiner über dem Bett (mit Zielfernrohr), Lederstiefel und Gamaschen aus Schafsfell am Boden. Es waren die Arbeitsutensilien von Lilo, und hier auf dem Lande waren das alles ganz normale Dinge. Später entdeckte ich sogar eine Bola, jenes für mich legendäre Jagdinstrument der Tehuelche: Drei Lederriemen, am einen Ende miteinander verbunden, am anderen Ende mit einem Stein- oder Metallgewicht. Diese Riemen wurden, in vollem Galopp, einem Guanaco vor die Beine geworfen, umwickelten diese und brachten das Tier zu Fall. Und wie man mir sagte, werden sie auch heute noch zu genau diesem Zwecke verwendet, obwohl das Guanaco geschützt ist… Nachdem mir mein Quartier zugewiesen worden war, ging ich erstmal wieder rüber in Sandros Hütte zum duschen. Das Fleisch köchelte bereits auf dem Ofen. Ich versuchte mich ein wenig mit den anderen am Ofen des Arbeiterhauses zu unterhalten, dann ging’s wieder rüber zum Essen. Als Nachtisch spendierte ich den Arbeitern sowie Sandro und seiner Familie zwei meiner vier wertvollen Nougattafeln, und ich glaube, sie mochten das Zeug nichtmal besonders – es war ihnen zu süss. Abends gab es zwei Stunden lang Strom vom Generator, und wir guckten fern. Davor war ich noch „formell“ Don Eduardo, oder einfach Eduardo, vorgestellt worden, um bei ihm quasi die Permiso zum Übernachten auf der Estancia einzuholen. Wir unterhielten uns ein wenig über die Pferde, und ich teilte ihm mit, wie gerne ich mehr über die Arbeit mit diesen Tieren, sprich: das Reiten, lernen würde. Er reagierte nicht unfreundlich, doch ohne irgendwelche Zusagen. Sandro hatte mir noch versprochen, am nächsten Tag mit Eduardo über meine Mitarbeit auf der Estancia zu sprechen. Ich fasste das so auf, dass ich am nächsten Morgen um fünf Uhr gleich mit ihm gehen sollte; Lilo, Sandro, der Patron sowie Gastons Vater machten sich nämlich zu Pferde auf in…