Nachdem alle einundachtzig Kälber im entspechenden Bereich waren, wurde rund die Hälfte von ihnen durch ein weiteres Gatter in den nur etwa zehn mal vier Meter grossen Bereich der Señalada getrieben. Währenddessen hatte Eduardo bereits mehrere Kisten herangeschleppt, in denen sich das Werkzeug zum Markieren der Ohren, eine Art Spritze zum Impfen sowie weitere mir unbekannte Dinge befanden. Gastons Vater hatte ein kleines Messer, das er nun zu schärfen begann – das eigentliche Kastrieren war seine Aufgabe, während Don Eduardo das Markieren der Ohren und Stutzen der Hörner übernahm. Sandro, Lilo und Francisco waren dazu da, um die Tiere zu Boden zu werfen und festzuhalten.
Dann begann das Ganze.
Ich nahm meinen Fotoapparat und machte von jedem Arbeitsgang ein Foto. Dann stand ich da und dachte mir, dass die anderen über ein wenig Hilfe froh sein würden, und ausserdem wollte ich lernen, wie man ein Kalb zu Boden wirft. Ich zog also meine Jacke aus, um sie nicht mit Kuhmist zu bekleckern, nahm meine Bundeswehrhandschuhe und kletterte über das Gatter. Francisco hatte gerade eines der Kälber zu Boden gerungen und lachte nun, als er sah, dass ich mithelfen wollte.
Er wies mich an, wie ich das Kalb an den Hinterbeinen packen sollte, während es am Boden lag. Das in die Luft gestreckte Hinterbein wird dabei gepackt und nach hinten gezogen, während man mit dem Fuss den Oberschenkel des anderen Beines von sich wegdrückt, um sich vor den Tritten des Tieres zu schützen. Wie das Tier dann am Boden festgehalten wurde, kamen entweder Eduardo oder Gastons Vater, um ihre Arbeit zu erledigen. Die abgeschnittenen Hoden der jungen Stiere flogen dabei links und rechts über den Zaun, als Festessen für die Hunde.
Nachdem ich bei dieser Prozedur ein paarmal mitgemacht hatte, wollte ich es selber versuchen, ein Kalb zu Boden zu ringen. Dabei gibt es zwei Methoden: entweder man packt das Kalb am hinteren Teil des Körpers, wo der Oberschenkel in den Bauch übergeht, sowie am Hals, hebt es in die Luft, bringt es mit dem Knie in die Waagerechte und wirft es so zu Boden, wobei man sich gleich selber hinterherwirft, um das Tier am Aufstehen zu hindern – oder man packt das Kalb über der Schnauze und am Hinterkopf und verdreht ihm den Hals so, dass es zu Boden fällt. Francisco, in seiner Freizeit Rugby-Spieler, bevorzugte die erste, Sandro die zweite Methode. Ich versuchte mich in beiden, mit gar nicht mal so schlechtem Erfolg.
Nachdem der erste Schwung Kälber abgefertigt worden war, wurde der zweite Teil in den Corral getrieben, und der Vorgang wiederholte sich. Das Ganze dauerte vielleicht drei Stunden, doch ich war schnell ziemlich erschöpft von der ungewohnten Arbeit. Doch der freudig überraschte Blick Eduardos und das Gefühl, ein Stück Anerkennung in der Runde dieser hart arbeitenden Männer gewonnen zu haben, waren mir die Kuhscheisse am Hosenboden mehr als wert.
Mittags ging es zurück auf die Estancia zum Mittagsessen und Schläfchen machen. Dann fuhr ich mit Eduardo und Francisco nochmals zum Corral, um zuzuschauen, wie eine Anzahl Kühe in einen Anhänger verladen wurde, der dann von einem Unimog (argentinischer Produktion) zur Estancia gezogen wurde. Anschliessend fuhren wir noch durch die Pampa zu einer anderen Weide und kehrten schlussendlich zur Estancia zurück.
Don Eduardo lud mich ein, meine Wäsche in seinem Haus zu waschen. Ausserdem wollte ich ihm noch die Fotos geben, die ich am Vormittag geschossen hatte. Ich duschte kurz in meinem Quartier und ging dann rüber zum Hauptgebäude. Den Abend verbrachten wir damit, uns auf dem Laptop verschiedene Fotos der Gegend anzuschauen, ausserdem wurde ich zum Abendessen eingeladen. Don Eduardo liess es sich auch nicht nehmen, mir Lebensmittel für den weiteren Weg mitzugeben, wofür ich sehr dankbar war – schliesslich war die nächste Einkaufsmöglichkeit ein paar hundert Kilometer entfernt. Am Ende tauschten wir noch E-Mail-Adressen aus und verabschiedeten uns auf der Treppe seines Hauses, denn ich hatte mich entschlossen, am nächsten Tag aufzubrechen.