Doch es war tatsächlich so, und der Ort hatte noch mehr zu bieten: ich hatte einen Privatstrand mit Muschelbänken gleich nebenan, und ein kleines Flüsschen versorgte mich mit dem nötigen Trinkwasser. Direkt hinter einem mannshohen Strauch fand sich eine ebene Stelle, so dass ich Schutz hatte vor dem kalten Wind. Die Bäume ringsum waren voller Pan del Indio, mit dem ich nun irgendwelche Kochexperimente anstellen konnte.
Am Nachmittag des Neunundzwanzigsten ging ich hinüber zu jener kleinen Estancia am Rio Parallela. Das Ganze wäre woanders nicht viel mehr als ein Puesto, ein Aussenposten einer Estancia gewesen: ein paar kleine Hütten aus verwittertem Holz standen auf der Wiese nahe des Flusses, dazu ein paar Hundehütten. Dazwischen zwei grosse Bäume, in denen tote Robben hingen – Futter für die Hunde. Als ich anklopfte, öffnete mir ein kleiner, etwas überrascht wirkender Mann die Tür. Er war etwas nach vorne gebeugt, trug Gummistiefel und war wohl so fünfzig Jahre alt. Ich wurde hereingebeten in einen Raum, wie ich ihn danach noch so oft auf vielen anderen Estancias gesehen habe: Tisch und Stühle aus Holz und robust gezimmert, dazu ein Ofen, ein paar Bilder von Szenen aus dem Leben der Gauchos an der Wand, allesamt vergilbt, eine Kiste mit Feuerholz. Ich unterhielt mich ein wenig mit dem Mann, doch erhielt nur sehr einsilbige Antworten. Ich hatte seit ein paar Tagen nicht mehr geduscht und nehme an, dass ich daher nicht den allerbesten Eindruck hinterliess.
Wie dem auch sei, ich hatte Geburtstag und wollte was ordentliches zu essen haben, ich fragte nach Fleisch. Aus einem Nebenzimmer wurde eine riesige Hammelkeule geholt und vor mir auf den Tisch gelegt, ich wollte jedoch lediglich die Hälfte, immerhin noch rund ein Kilo Fleisch. Mein Geld hatte ich im Zelt gelassen, nahm mir aber vor, später nochmals wiederzukommen, um für die grosszügige Gabe zu bezahlen.
Mit dem Fleisch machte ich mir ein ordentliches Festessen mit allem, was der Rucksack hergab. Am Mittag des nächsten Tages watete ich nochmals durch den Fluss, in der Jackentasche eine Tütensuppe mit Reis und etwas Geld für die halbe Hammelkeule. Doch der Mann weigerte sich zunächst, irgendetwas anzunehmen: „Das fehlt dir doch dann später!“. Schliesslich nahm er das mehr als bescheidene Geschenk dann doch an, und ich hielt ihm den zweitausend-Peso Geldschein hin. Er machte nur ganz grosse Augen und bat mich erneut in die Hütte. Ich hatte aus dem Fehler des Vortages gelernt und mich etwas gewaschen, und so kam diesmal auch ein Gespräch zustande. Ich erfuhr die ein wenig traurige Geschichte des Versuches, an diesem Ort eine Estancia zu unterhalten. Es funktionierte nicht, zuviele Kühe verschwanden in den Bergen. Und da er wegen des weichen Turbiabodens viel zu Fuss gehen musste, war es offenbar sehr schwer für ihn, Gehilfen zu finden – konnten die doch auf anderen Estancias zu Pferde arbeiten. „Dies ist ein schlechter Ort“ sagte er einmal. Welche Ironie. Da lebte der Mann an einem der spektakulärsten Plätze, die ich auf Feuerland gesehen hatte, aber froh darüber konnte er nicht werden. Vor hundert Jahren hatte offenbar schonmal einer versucht, an diesem Orte Fuss zu fassen, und war ebenfalls gescheitert. Hatte er den etwas aus den Fehlern des Vorgängers gelernt?