Der Alte, anfangs noch fröhlich pfeiffend, wurde auf einmal sehr still und wortkarg;
ich führte das auf meine Ausdünstung zurück, die nach einer Woche wahrscheinlich allerübelst war. Um ihn nicht allzu sehr zu quälen, eröffnete ich ihm nach dem ersten Teller, den ich ausgelöffelt hatte, dass ich nun weitermarschieren müsse, ein weiter Weg läge noch vor mir. Das schien ihn zu beleben; er trug mir sogar Stock und Handschuhe an die Pforte des Zauns hinterher.
Von der Estancia Carmen erreichte ich in kurzer Zeit die neun Kilometer entfernte RC-F. Vor mir lag nun die Pampa und, etwa fünfundachzig Kilometer weiter nördlich an der Küste des Atlantiks, Rio Grande.
Ich nahm an, dass das Gehen auf der Strasse recht eintönnig werden würde, und legte mir aus diesem Grund einen genauen Tagesplan zurecht: eine Stunde gehen, Viertelstunde Pause, nach drei Stunden eine längere Mittagspause etc. Ich hatte noch einen Rest Vitaminbonbons, die ich zu vorher festgelegten Zeitpunkten ass – so hatte ich immer etwas, worauf ich mich „freuen“ konnte. Das mag sich im Nachhinein vielleicht alles etwas Übertrieben anhören, doch achzig Kilometer können einem unendlich erscheinen, wenn man sich langweilt. Und das Resultat meiner Planung war eben, dass ich keine Sekunde lange Weile hatte und am ersten Tag gut fünfunddreissig Kilometer in sieben Stunden zurücklegte. Die letzte Nacht vor Rio Grande verbrachte ich in der verlassenen Hütte eines Einsiedlers am Strand des Atlantiks, und vor dem eigentlichen Abendessen, das wie immer aus Nudeln bestand, konnte ich mir frische Muscheln kochen, die ich zuvor am Strand gepflückt hatte.
Nach Rio Grande kam ich auf schliesslich auf einer alten Küstenstrasse, die seit der Fertigstellung der Ruta 3 nicht mehr benutzt wurde. Ich genoss die paar letzten Stunden in freier Umgebung, dann war ich in Rio Grande und wieder unter Menschen und ihren mehr oder weniger sinnvollen Errungenschaften.
Die Tage der Erholung verbrachte ich auf dem lokalen Campingplatz direkt am Flussufer. Wenn ich mich nicht gerade um meine Arbeit als Webmaster einer Seite in Deutschland kümmerte, ass ich. Vor allem Fleisch.
Der Zeltplatz befand sich auf dem Gelände eines „Club Nautico“, also eine Art Ruderverein, und in jener Woche waren gerade alle eifrig mit den Vorbereitungen eines Kajaktrips auf dem Rio Grande beschäftigt. Ich konnte leider nicht mit, da sich für mich kein Kajak auftreiben liess. Rio Grande selbst hatte wieder dieses improvisiert wirkende Strassenbild, das mir schon in anderen Städten Argentiniens aufgefallen war. Hier und da boten sich Blicke in Hinterhöfe voller Reifenstapel, Autowracks, Hühnerkäfigen etc. Nicht uninteressant, fand ich.
Am gegenüberliegenden Ufer, im Barrio Austral, befanden sich die Überreste der alten Gefrieranlage, mit der einst die Fleischmassen von der Estancia José Menendez für den Transport haltbar gemacht wurden, und die quasi der Grundstein für die ganze Stadt Rio Grande gewesen war. Nur Ruinen und ein paar Informationstafeln für Touristen zeugten noch davon.
Nach ein paar Tagen hatte ich dennoch genug von alldem und machte mich auf nach Westen, in Richtung der chilenischen Grenze.