Nachdem ich eine Weile herumgeritten war, kehrte ich zur Hütte zurück, um meinen Marsch durch das Gebirge zu beginnen. Ein letztes Mal liess ich mir von Mariano den Weg beschreiben, dann gaben wir uns die Hand und ich machte mich von dannen. Die massiven Felsformationen des Vorgebirges türmten sich vor mir auf, und hätte ich nicht gewusst, dass der Weg existierte, so wäre ich vermutlich schon bei deren Anblick ins Zweifeln geraten.
Doch eine urzeitliche Kraft hatte wie mit einem riesigen Buttermesser ein schmales Tal in die Berge geschnitten, und am Ende dieses Tales ragte der Cerro Sombrero auf, von mir Cerro Samurai genannt, da mich seine Form eher an die Helme der Samuraikrieger aus den Kurosawa-Filmen erinnerte.
Über weite Geröllfelder kletterte ich bergauf, kreuzte Wasserfälle und Flussläufe, von denen manche badewannenartige Aushöhlungen in die Felsen geschliffen hatten.
Gegen Mittag war ich am Fusse des Berges angelangt, und konnte mich nun entscheiden, ob ich meinen Weg links- oder rechtsherum fortsetzen wollte. Laut Mariano war der Weg auf der linken Seite steiler und schwieriger, dafür kürzer. Der Weg zur rechten führte mehrere hundert Meter hinab in ein Flussbett, dann auf der anderen Seite alles wieder hinauf und, mit der Laguna Azul zur rechten, an der Bergwand entlang, bis hin zu einem riesigen, mehrstufigen Aufstieg über weitere Geröllfelder und Felswände. Diesen Weg nahm ich. Irgendwo hinter der höchsten Stelle lag der Lago Tannhauser, ein kalter Gebirgssee, dessen Abfluss, der Rio Perro, hinab zur Estancia Christina floss und dort in den Lago Argentino mündete.
Durch den Reitausflug war ich erst recht spät weggekommen und musste mich nun ranhalten, um nicht im Dunkeln irgendwo in einem Geröllfeld zu stehen. Ich wollte den Lago Tannhäuser noch heute erreichen und dort mein Lager aufschlagen.
Ein Felsstufe nach der anderen kletterte ich nach oben, und nun bekam ich auch eine Erklärung für diese kleinen runden Punkte, die ich auf den Satellitenkarten gesehen und die von oben wie die Sechs auf einem Würfel angeordnet waren: es waren kleine Gebirgsseen, wahrscheinlich aus dem Schmelz- und Gletscherwasser gespeist, mit kleinen, flachen Kiesstränden, wo ein verirrter Wanderer für eine Nacht ein Lager hätte aufschlagen können.
Es dämmerte, als ich den höchsten Punkt erreicht hatte. Im nachlassenden Licht des Tages ragten die Felsen um mich wie bizarre Lebensformen in den Abendhimmel. Doch wo war der Lago Tannhauser? Mich nach dem Kompass richtend lief ich weiter durch die kahle Felslandschaft, bis ich vor mir einen riesigen, an einer steilen Bergflanke liegenden Gletscher sah, der den Lago Tannhauser speisen musste. Und mit dem letzten Licht erreichte ich das Ufer des Sees und richtete in der völligen Stille der Berge mein Lager her. Die sternenklare Nacht war knackig frisch. Ich ass und schlief so gut wie schon seit Langem nicht mehr.