Im Fjord mit der Cisne IV

Um halb fünf Uhr nämlich, und ich verstaute alle Sachen in Rekordzeit in meinem Rucksack und kletterte abermals über die Klippen, und als ich in der Fischerbucht ankam lagen natürlich noch alle in den Kojen und schnarchten. Ich klopfte und pfiff, und Manuel, der auch am Vortag noch der gesprächigste gewesen war, wurde als erster wach und liess mich in die Kabine. Dann wurde Maté getrunken und Brot mit Marmelade gegessen, dann Kaffee getrunken und Zähne geputzt, endlich noch die Arbeitskleidung angezogen, und bis wir ausliefen, war es acht Uhr morgens geworden. Das mit den sechs Uhr in der Früh hatte wohl mehr etwas mit Fischerstolz zu tun gehabt.
Der Himmel war verhangen und die See ging ziemlich hoch, der Wind pfiff mit etwa fünfzig Knoten, wie ich später erfuhr, das sind rund hundert Stundenkilometer. Doch Manuel und Hektor, sein etwas jüngerer Kollege, gingen auf Deck herum, als hätten sie Haftsohlen an den Schuhen. Nicht so ich: in meiner Regenkleidung stand ich nahe der Kabine und hielt mich an der Reling fest; tat ich das nicht, fing ich sofort an, auf dem glitschigen Deck herumzustolpern. Es ging nun zunächst darum, die etwa fünfhundert Meter langen Netze, die sie an der Küste des Fjords ausgelegt hatten, ins Boot zu holen und die Centollas, zu deutsch Meeresspinne, ans Tageslicht zu bringen. Diese Centollas waren eine äusserst wohlschmeckende Sache und vor allem für den Export nach Japan bestimmt. Nachdem die Boje des Netzes in der aufgewühlten See gesichtet war, wurde sie mit einem Metallhaken an Bord gezogen. Nun stellte sich einer an den Bug des Bootes und begann, das grobmaschige Netz mit blosser Muskelkraft heraufzuziehen, wobei der andere hinter ihm stand und es auf dem Deck auftürmte und die Centollas daraus losmachte, die mit ihren rotweissen Zangen um sich schnappten. Doch die Netze waren weitestgehend leer, und nur Seetang und hin und wieder ein Rochen oder kleiner Hai hatte sich darin verfangen – nach zwei Monaten war der Meeresboden weitesgehend leergefischt. Ich stand meist nur da und hielt mich an der Reling fest; an der Stelle, an der das Netz an Bord geholt wurde, war die Reling jedoch nur etwa zwanzig Zentimeter hoch – hätte ich versucht, dort zu arbeiten, wäre ich bestimmt von Deck gespült worden. Doch dann, auf dem Weg zu einer weiteren Boje, bot sich mir die Gelegenheit, doch noch mit anzupacken: die Meeresspinnen, die sich besonders dicht in dem Netz verfangen hatten, mussten mit einem kleinen Werkzeug, einer Art Metallhaken mit Holzgriff, daraus befreit werden. Das war was für mich. Ich nahm mir einen der Haken, schnappte mir eine der Centollas und begann, sie aus den Fäden herauszupulen. Dazu setzte ich mich auf die Deckslucke, und das war ein Fehler. Denn kaum sass ich und blickte hinab auf den Boden, als sich in meinem Magen eine derartige Übelkeit auszubreiten begann, dass ich glaubte, das ganze Deck vollkotzen zu müssen. Ich liess die Centolla, wo sie war, legte den Metallhaken zurück zu Mario in die Kabine und stellte mich wieder an die Reling. Ich erlebte eine Seekrankheit reinsten Wassers. Die anderen sahen es, doch ganz ohne Schadenfreude. Ich nahm mich zusammen, um nicht zu kotzen, das wäre dann doch zu lächerlich, zu touristenmässig gewesen. Meine Beine zitterten, und ich hielt den Blick starr auf den Horizont und die Wellen gerichtet, so dass ich es einigermassen aushalten konnte. Dennoch wurmte es mich, dass ich so komplett unnütz war auf diesem Schiff, und beim letzten Netz wollte ich mit anpacken, und obwohl eigentlich kein weiterer Mann gebraucht wurde, half ich mit, um wenigstens noch meine Bereitschaft zu zeigen. Dann endlich, nach dreieinhalb nassen und kalten Stunden drehte Mario das Schiff in Richtung der heimatlichen Bucht, und wir tuckerten zurück.