Es gab keine geeigneten Orte zum Zelten außer nahe am Ufer, wo sich zwischen den Büschen etwas Schutz vor dem Wind bot. Das einzige Wasser war das des Sees, milchig und voller Sedimente.
Nachdem ich das südliche Ufer mühevoll hinter mich gebracht hatte, musste ich viele Kilometer auf der asphaltierten Ruta 40 zurücklegen, bevor ich wieder nach Westen einbog auf die Straße, die nach El Chalten führt, der selbsternannten Trekking-Hauptstadt. Mein Ziel war das kontinentale Eisfeld. Schon in Deutschland war klar gewesen, dass es einer der Höhepunkte meiner Patagonien-Durchquerung werden sollte. Ich wollte einige Nächte auf der weiten, schneebedeckten Ebene verbringen, hatte jedoch kaum weitere Informationen dazu. Ich passierte einen „Gauchito“, eine Art Gedenkstätte für den Volksheiligen Gauchito Chil, einen Argentinier des 19. Jahrhunderts. Wenige Kilometer später sah ich jemanden im Staub neben der Straße sitzen. Es war Xavier aus Belgien. Er pflegte am Straßenrand zu pausieren, auf seiner mit Flicken versehenen Therm-a-rest ruhend, neben sich die Thermosflasche mit dem Wasser für den Mate. Wie ein richtiger Argentinier war er versessen auf das Getränk, zudem hatte er in seiner Radtasche immer einen großen Topf voller Dulce de Leche dabei, einem melasseartigen Brotaufstrich. Xavier war sehr sparsam unterwegs, vielleicht sogar extrem sparsam. „Schau her“, sagte er und zeigte mir ein kleines Stück Seife, „seit einem Monat wasche ich mich damit, und meine Wäsche!“. Abends hatte er kein Zelt zur Verfügung, daher drehte er einfach sein Fahrrad auf den Kopf und spannte einen Militärponcho darüber, das bot ihm in seinem Schlafsack genügend Schutz, zumal es in der Gegend eher selten regnete. Diese Bekanntschaft war eine willkommene Abwechslung nach den öden Stunden und Tagen entlang des Seeufers, und wir gingen eine Weile gemeinsam auf der Straße. Er hatte eine Angelrolle in einer seiner Taschen und suchte nach einer Angelrute, um fischen zu können. Er war begeistert, als ich ihm die Angeldose aus Feuerland zeigte und gleich am Rand der Straße ihre Verwendung erklärte, wobei wir annahmen, der Asphalt sei ein Fluss. Schließlich fuhr er alleine weiter, doch da er sehr langsam fuhr und täglich nie mehr als fünfzig Kilometer zurücklegte, hatte ich ihn am späten Abend wieder eingeholt. Angesteckt von seiner Methode mit dem umgedrehten Fahrrad und zudem etwas gelangweilt von der eigenen Routine, versuchte ich, mein Lager nur mit Hilfe der Plastikplane herzurichten. Ausgerechnet in dieser Nacht ging ein Sturzregen hernieder, und alle meine Ausrüstung inklusive des Daunenschlafsackes wurde völlig nass. Ich selber fing mir eine heftige Erkältung ein und nahm daher für die letzten Kilometer nach El Chalten den Bus. Im strömenden Regen überholten wir Xavier, den ich später in der Ortschaft wieder traf. Ich war bisher nie krank geworden und sah in der Schwäche meines Immunsystems ein schlechtes Anzeichen, einen Vorboten enttäuschender Ereignisse. Meine Vorahnung sollte sich bestätigen.