Juan Carlos und seine Lebensgefährtin Fabiana hatten mich nicht so früh zurückerwartet, doch nun stand ich da und wollte alles über die Criollos lernen. Fünfzehn Tage, hatte Juan Carlos gesagt, würde es mindestens dauern, um einen brauchbaren Reiter aus mir zu machen. Um die Beiden nicht übermässig zu strapazieren, quartierte ich mich in der kleinen Herberge „Don Jorge“ ein, wo ich den Preis noch etwas herunterhandeln konnte. Ausserdem war das Zimmermädchen sehr schön.
Die Argentinier haben eine ausgesprochen gelassene Art, einem Gringo das Reiten beizubringen. Kurz werden vor dem ersten Satteln die wichtigsten Grundregeln angesprochen, wie etwa „Gehe nie hinter dem Pferd hindurch“, „Wenn du nicht willst, dass das Pferd frisst, dann binde es weiter oben am Pfosten an“ usw., dann geht es auch schon ans Eingemachte. Ich kann nicht sagen, dass ich nicht etwas nervös gewesen wäre, als meinem Pferd, einem kleinen alten Mestizen, der Sattel aufgeschnallt wurde, nicht zuletzt, weil das Tier übelgelaunt um sich biss, doch kaum sass ich im Sattel, fühlte ich mich besser. Im Gegensatz zum steifen und aristokratisch wirkenden europäischen Reitstil hält der Argentinier die Zügel nur mit einer Hand, in der anderen Hand hat er meist eine Art Peitsche aus Leder, oder auch eine Machete oder Zigarette. Sehr sympathisch.
Wir ritten los Richtung Julia Dufour, einer kleinen Nachbarortschaft, und nach zehn Minuten versuchten wir den ersten Trab, und gleich danach bereits den Galopp.
Im Laufe der Tage lernte ich immer besser, mich im Sattel zu halten, wobei ich vor allem darauf achten musste, locker in der Hüfte zu bleiben. Dazwischen arbeiteten wir an der neuen Webseite für Juan Carlo’s Organisation. Eine Menge Leute gingen in der Chacra aus und ein, allesamt Freunde meiner beiden Gastgeber. Juan Carlos hatte seine Arbeit bei der Municipalidad aufgegeben, um sich ganz der A.C.C.A.E.D. widmen zu können, doch in den Tagen, die ich dort war, sah ich kaum jemals einen Kunden. Es war auch irgendwie seltsam, zu sehen, mit wie wenig er und Fabiana auskommen mussten, obwohl Fabiana nach wie vor eine bezahlte Arbeit hatte. Es gab keinen Kühlschrank, keinen Fernseher, kaum Möbel, und viele Dinge aus dem Supermarkt konnten sie sich nicht leisten. Dabei sah man ihnen die relative Armut, in der sie lebten, nicht an. Ich half beim Einkaufen etwas mit und bezahlte meist die Hälfte.
Doch schon zu Beginn unserer Bekannschaft hatte ich mir Gedanken gemacht; normalerweise halte ich es mit keinem Menschen länger als zwei, drei Tage aus. Ich bin nunmal dazu gemacht, alleine zu reisen. Und so gerieten auch Juan Carlos und ich aneinander; meine „deutsche“ Art, den Tag genau einzuteilen und anzugehen, ging ihm gegen den Strich. Er verbrachte nämlich einen guten Teil des Tages damit, mit Feunden am Tisch zu sitzen, Maté zu trinken und – zu reden. Bei diesen Gelegenheiten langweilte ich mich ziemlich, doch es war nunmal seine argentinische Art, die Dinge anzugehen.
Wir kamen nicht weiter. Nach zehn Tagen beschlossen wir, die Arbeit an der Webseite sowie meine Reitausbildung vorzeitig zu beenden. Ein Entschluss, der mich zunächst ziemlich deprimierte, hatte ich doch in den vergangenen Tagen alles getan, um es den Beiden nicht zu schwer zu machen, doch ohne Erfolg. So verabschiedete ich mich von ihnen, ohne auch nur ein Foto gemacht zu haben, da ich immmer glaubte, noch genügend Zeit dazu zu haben. Ich richtete den Blick nach Norden – dort, hinter einem Gebirge, das ich am Paso Verlika überschreiten würde, lag der Lago Argentino. Mein nächstes Ziel.