Tat es eigentlich weh, in den Bergen abzustürzen? Diese Frage beschäftigte mich, während ich Schritt für Schritt abstieg. Ein kurzer, schrecklicher Moment des Halt-Verlierens, danach der Fall und der Aufschlag, und eine kurze Zeit, die einem blieb, bis man seinen letzten Atem aushauchte. All diese Felsen wirkten so hart. Aber vermutlich war es immer noch besser, als in einer Grosstadklinik an den Schläuchen zu hängen, um endlich, als Soundsovielter in diesem Monat, den Löffel abzugeben.
Währenddessen hangelte ich mich vorsichtig zum Flussbett hinüber. Ich sah, das etwas die Sache erschweren würde: das spärliche Wasser nämlich, das hier den Fels hinunterfloss, rieselte unter einer dicken, harten Schneeschicht, die sich darüber gebildet hatte. Der ganze Abstieg war eine weisse Schneerutschbahn, mit hier und da herausragenden Felsen. Würde ich ausutschen und auf dem Schneefeld hinuntersausen, würde ich mir daran alles mögliche Aufschlitzen.
Ich klammerte mich, wärend ich versuchte, mit der Ferse notdürftige Stufen in den Schnee zu treten, an Felsen und Steinen fest, und erreichte so die Stelle, wo sich der Bach eine Schneise durch die Felswand gebahnt hatte. Ich hatte optisch etwas Schwierigkeiten, die Steilheit des Hanges unter mir zu erkennen; direkt von oben wirkte es fast senkrecht, doch wiederum konnte ich nur einen Teil des Weges sehen, und vertraute so einfach auf mein Glück. Ein Zurückklettern wäre jetzt extrem kräftezehrend und zeitaufwendig geworden. Dann: die Erleichterung! Ich hatte die Seite des Schneefeldes gewechselt und kletterte nun wieder über zwar nassen, aber dennoch sicheren Felsen, als ich sah, dass das Geröllfeld unter mir in einem sanften Schwung direkt in den Talboden mündete. Geschafft! Ich lebte noch! Der Regen durchnässte mich, als ich neben einem grossen Felsbrocken eine kurze Pause einlegte und einen Blick zurück wagte. Ich hatte mehr Glück als Verstand gehabt: der Durchgang durch das Flussbett war die einzige Möglichkeit hinab ins Tal gewesen, ringsherum nur steil abfallende Felswände! Der Bammel, den ich oben am Bergkamm verspürt hatte, war heftiger als gedacht gewesen, das merkte ich nun am Grade meiner Erleichterung. Das Leben schien auf einmal sehr lebenswert, und die Sorgen der vergangenen Tage überwunden. Nur noch über den Paso Verlika, den ich nun deutlich vor mir sah, und ich konnte diese nasse Stein-Welt hinter mir lassen und hinab an den Lago Argentino marschieren!
Oben auf dem Paso angelangt erblickte ich den kleinen Steinhaufen, errichtet von früheren Wanderern, was mir weiter klar machte, dass an meiner Wegwahl vorher irgendwas falsch gewesen war. Doch hols der Geier, ich sah das breite Tal des Rio Centiscuela vor mir, und brauchte nun nichts anderes zu tun, als auf dem weichen grünen Mossboden hinab zu trotten, raus aus der Kälte der letzten zwei Tage. Auf einen Berg steigen ist schön – aber fast genauso schön ist es, wieder runterzukommen!