Über den Paso Verlika
Irgendwo vor mir in den Bergen war die Estancia Vizcachas, und dort musste ich nach dem Weg fragen; denn wo genau der Pass war, über den ich musste, konnte man mir nur dort sagen – dachte ich.
Es wurde ein Acht-Stunden-Tag, bevor ich die Estancia am Fusse des Cerro Negro erblickte. Ein verrückter Paltz für eine Estancia, wie ich fand. Stunden von der nächsten Strasse entfernt, umgeben von Bergen und Hügeln. Ich stieg hinunter an den Rio Vizcachas, der hier schnell und eiskalt floss, und schlug im letzten Licht des Tages mein Lager auf. Hier oben, lediglich ein paar hundert Meter über der Ebene, in der ich mich die Tage zuvor zu Tode geschwitzt hatte, wurde es nach Einbruch der Dunkelheit rapide kälter.
Am nächsten Mittag dann die Überraschung; die beiden Gauchos der Estancia Vizcachas konnten mir ebenfalls keine näheren Angaben über den Paso Verlika machen, kannten ihn höchstens dem Namen nach. Zumindest sagten sie so – mir kam das Ganze nämlich langsam etwas seltsam vor. Wahrscheinlich hielten mich die Leute für einen chilenischen Spion, als Tourist getarnt und mit gestelltem Gringo-Akzent.
Am Ende des Tales, wo der Rio Vizcachas entsprang, gab es drei Täler – welches nehmen? Ich hatte zwar die Karte des IGM, doch dort war der Paso Verlika jenseits der Grenze in chilenischem Gebiet eingezeichnet. Einer der beiden Vizcachas Leute ging mit mir einen nahen Hügel hinauf und zeigte mir die ungefähre Richtung, und ich glaubte, zu verstehen, dass das mittlere Tal das Richtige sei. Am Ende des Haupttales gab es noch einen letzten Puesto, dort wüssten die Leute den Weg, hiess es.
Das Tal war unglaublich breit und die Seiten, von urzeitlichen Gletschern geformt, liefen rund an den Bergen empor wie bei einer riesigen prähistorischen Badewanne. Winzigklein erkannte ich in kilometerweiter Entfernung die kleine Holzhütte des Puestos der Estancia Vizcachas, dahinter ragten die zackigen Felsen und Berge der Cordillera auf. Natürlich hatte ich es fast so erwartet; der einsame Gaucho im Puesto „war gerade erst angekommen“ und kannte die Gegend daher nicht, und sein Companero, der alles wusste, war gerade nicht da. Doch aus dem mittleren Tal sei letztes Jahr eine Gruppe Reiter aus El Calafate gekommen, war sich der Puestero sicher.
Was also lange überlegen, ich marschierte nach Norden in das Tal hinein, mit seinen links und rechts fast senkrecht aufragenden Wänden. Am nächsten Vormittag, nach ein paar Biegungen, erreichte ich einen breiten Talkessel, doch nach wie vor war es mir schleierhaft, wie eine Gruppe mit Pferden über diese Bergflanken gelangen sollte.
Ganz hinten im Tale fand ich dann einen Aufgang nach Westen, der zu Fuss und zu Pferde machbar schien. Ich prüfte meine Karte und sah, dass der Paso Verlika auf der anderen Seite dieses Bergrückens liegen musste. Ich sah auch Pferdespuren im Boden, doch ob die nun von der Französin stammten, die hier vor ein paar Wochen durchgekommen sein sollte, oder von den Leuten des Puestos – ich war zuwenig Indianer, um das herauslesen zu können. Ich blickte hinauf zu den Bergen vor mir. War das also der Pass?