Filmeintopf 16. September
Ein Sommer in La Goulette
Es ist ein ziemlich schönes Gefühl, nach dem angelsächsischen und westeuropäischen kulturellen Einheitsbrei einen Anbstecher zu machen in eine Welt, in der vieles anders, komplizierter, hektischer, kindlicher und appetitlicher war. La Goulette ist ein Hafenviertel von Tunis. Drei junge Mädchen geloben der heiligen Maria, bis zum Ende des Sommers ihre Jungfräulichkeit verlieren. Ihre konservativen Väter sind dagegen. Der Doppel-Hadj, ein griesgrämiger Miethai, der das gesamte Viertel in seinem Griff hat, verschaut sich in die arabische Meriem, die er im Badezimmer heimlich beim Waschen beobachtet. Er will seine Macht über die Familie benutzen, um an das Mädchen heranzukommen… Der Film verliert sich Anfangs fast völlig in dem naiven, ziellosen Chaos des tunesischen Sommers, aber je länger man hinschaut, desto klarer wird der Fokus. Die Doppelmoral aus Geilheit und erzkonservativer religiöser Auslegung wird vom Doppel-Hadj personifiziert. Der Konflikt zwischen den drei Religionen, dargestellt von den drei Vätern. Die Armut, der schwelende Konflikt im Nahen Osten, der auch Auswirkungen haben wird auf diesen scheinbar so selbstvergessenen Miniaturkosmos von La Goulette. Würzige Zutat mit mediterraner Frische.
The Lobster: Eine unkonventionelle Liebesgeschichte
Die Handlung versetzt uns in eine monotone Zukunft, in der Menschen ohne Lebenspartner in ein Hotel verfrachtet werden, wo sie innerhalb von wenigen Wochen jemanden finden müssen. Ansonsten werden sie in ein Tier verwandelt. Es scheint so, als ob Regisseur Yorgos Lanthimos den Film begonnen hat, obwohl das Drehbuch erst halbfertig war. Zu Beginn ist man noch gut unterhalten von dieser surrealen Datingwelt. Irgendwann geht aber der rote Faden verloren, und der Film schleppt sich dahin, mit monotoner Erzählstimme und ausdruckslosen Gesichtern der Darsteller. Das Ende ist nicht so originell, wie man es von der Prämisse hätte erwarten können. Ungewöhnliche Beigabe mit ranzigem Nachgeschmack.
Jalanan
Jakarta ist eine der hässlichsten Städte, die ich jemals besucht habe, die aber gleichzeitig so unverstellt daherkommt, dass es schon fast wieder sympathisch ist. Der Dokumentarfilm folgt einer kleinen Gruppe von Straßenmusikern: Boni, Titi und Ho. Mit echtem Talent und musikalischem Ausdrucksvermögen schlagen sie sich durch den unmöglichen indonesischen Alltag. Überschwemmungen, Korruption, Enge, Kriminalität, Schmutz, Liebschaften und eine Handvoll Kinder, für die es zu sorgen gilt. Manche musikalischen Momente überraschen mit ihrer einfachen Echtheit. Viele der Lieder, die die Musiker vor den Fahrgästen darbieten, haben sie selber geschrieben. Über einen Zeitraum von fünf Jahren hat das Team um Regisseur Daniel Ziv die Entwicklungen im Leben der drei Protagonisten verfolgt. Manchmal bleiben deren Erlebnisse einem wie ein Kloß im Hals stecken, aber insgesamt zeigen sich die drei als äußerst widerstandsfähige und liebenswürdige Überlebenskünstler. Über allem thront Jakarta, dieser südostasiatische Moloch. Bittersüßes Stück Schokolade als Nachtisch.