Die seltsame Faszination des Nichtstuns: ‚Stranger than Paradise‘
Willie, ein beschäftigungsloser Hipster aus New York, nimmt für zehn Tage seine ungarische Cousine bei sich auf. Aus dem Unwillen, in seiner ostentativen Langeweile gestört zu werden, entwickelt sich eine zarte Zuneigung. Nach einem Jahr beschließt Willie gemeinsam mit seinem Freund Eddie, die Cousine in Cleveland zu besuchen, wo sie bei ihrer Tante Lotte lebt. Da die Stadt zu kalt und trostlos ist, brechen sie gemeinsam zu einer ziellosen Reise nach Florida auf.
Gleich zu Beginn schlägt er Film einen ungewöhnlichen Weg ein: Willie öffnet die Tür und lässt seine Cousine, mehr oder weniger freiwillig, in die Wohnung. In der nächsten Einstellung schauen die beiden fern, als würden sie sich schon seit Wochen kennen. Jarmusch zeigt uns, was er von Erzählstrukturen hält: er überspringt wie selbstverständlich ganze Handlungsstränge, und diese Unbekümmertheit macht es mir sehr leicht, seinen Figuren beim Nichtstun zuzuschauen. Es wäre andernfalls auch schwer zu beschreiben, warum es so packend ist, Leute zu beobachten, die rauchend vor dem Fernseher sitzen, Staub saugen oder sich Popcorn kauend in einem Kinosessel fläzen. Nichts geschieht, doch man kann seine Augen nicht davon abwenden. Jede einzelne Einstellung der ersten Stunde des Films wollte ich einrahmen und an die Zimmerwand hängen, so einprägsam und seltsam folgerichtig wirkte der Aufbau der Bilder. Die Kamera bewegt sich nur, wenn es gar nicht anders zu gehen scheint, voller Phlegma, wie die Darsteller.
Im letzten Drittel scheinen die komischen Elemente fast völlig zu verschwinden, die sich in Brooklyn und Cleveland noch die Waage gehalten hatten mit der Trostlosigkeit und Entfremdung. Florida ist ein kalter, menschenentleerter Ort, das Motel ist schäbig, die Beziehungen zwischen den drei Protagonisten bewegen sich auf den Gefrierpunkt zu. Während ihr Leben in New York zwar auch inhaltslos ist, hat es eben noch seine seltenen, menschlichen Momente. In der Postkartenidylle des Rentnerparadieses Florida jedoch scheinen sie von ihren letzten Wurzeln abgeschnitten und so driften sie auseinander, bis jeder am Ende seinen eigenen Weg geht.