Früh morgens stand ich auf der Piste, welche zur im Osten liegenden Ruta 40 führte. Ich marschierte los. Der Wind war so stark geworden, dass ich Mühe hatte, das Gleichgewicht zu halten. Heftige Böen kamen von der Seite, so dass mein Rucksack und ich, eine Einheit von rund hundert Kilo, von einer Seite der Piste zur anderen taumelten wie ein Schluckspecht auf dem Nachhauseweg. Abend erreichte ich ein kleines Tal, das Schutz vor dem Wind versprach. Ich fand sogar Unterkunft in einer Estancia, wo ein alter Gaucho lebte. Wir unterhielten uns bis spät abends, bevor er mir am nächsten Morgen den Verlauf der Piste über sein Grundstück zeigte. Nach einem erneuten Tag des Taumelns und Fluchens im Wind erreichte ich die Ruta 40. Es gab nichts als ein einzelnes kleines Grundstück, darauf eine Bar, und der Wirt freute sich über etwas Gesellschaft. Mein Plan war es jedoch, auf der Ruta 41 nach Westen zu wandern. Dazu wollte ich den Bus ein Stück weit nach Norden nehmen, anschließend über die Berge an den Lago Buenos Aires gelangen. Der letzte Teil dieser Ruta 41 war berühmt-berüchtigt und bei schlechtem Wetter nur mit einem Geländewagen zu überwinden. „Der Bus kommt erst später“, sagte der Wirt, „komm derweil hinein, ich gebe dir einen Kaffee aus“. Diese Einladung konnte ich schlecht ausschlagen, wollte ich nicht draußen im Wind an der öden Straße herumlungern. Kaum stand ich am Tresen und nahm den ersten Schluck, hörte ich draußen die Dieselmotoren eines großen Fahrzeuges näher kommen und schaffte es gerade noch bis zum Fenster, um den Bus vorbeifahren zu sehen. Es war der einzige Bus an diesem Tag. „Nun ist er doch schon früher gekommen“, sagte der Wirt, dem man die Überraschung fast hätte glauben können – er hatte durch seine kleine Finte einen Gesprächspartner für den Abend gewonnen. Am Ende war ich froh darüber. Der Wirt war ein kleiner, untersetzter Argentinier in seinen mittleren oder späten Vierzigern, mit einem freundlichen Lachen und einer großen Gesprächigkeit. Zum Abendessen tischte er riesige Lachsforellen auf, die er in einer hausgemachten Knoblauchsoße gebraten hatte, etwas vom besten, was ich auf diesem Kontinent gegessen hatte. Als ich ihm dies sagte, wirkte er genauso beschämt wie stolz. Der Rotwein aus dem Tetrapack floss reichlich, während er mir von den Jahren in Patagonien erzählte. „Ich habe sie alle gehabt, Europäerinnen, Asiatinnen, alle!“ Er lehnte sich in die Lehne seines Stuhles, zutiefst zufrieden mit dem Werk seines Lebens. Dann erzählte er von den Abenteuern seiner Jugend. Im Westen, jenseits der Pampa, thronte der Monte San Lorenzo, gefürchtet durch seine Lawinen und Stürme. Der Wirt hatte als junger Mann mit ein paar Freunden versucht, in die Höhe des Berges vorzudringen. Über tiefe Schneefelder waren sie emporgestapft. Sie hatten ein paar Hunde dabei, die sie vorausschickten; weigerten sich die Hunde oder wurden nervös, so wussten sie, dass es kein Weitergehen gab. Irgendwann hatten sie eine große Höhe erreicht, und emporblickend sahen sie den gewaltigen Gipfel des Berges über sich, flankiert von steilen Felswänden, und der Anblick flößte ihnen eine solchen Ehrfurcht ein, dass sie allesamt beschlossen, umzukehren.