Das Festival de la Esquina

Ich hatte die Radfahrer, die ich unterwegs traf, manchmal um ihre Geschwindigkeit beneidet – bei einer Radtour kommt eine ganz andere Dynamik auf als bei einem Fussmarsch. Doch der Radfahrer muss immer auf der Strasse bleiben, und wie ich jetzt auf der Ruta 9 nach Süden fuhr, wurde mir wieder klar, warum ich nach meinen letzten Radtouren unbedingt zu Fuss los wollte. Was für ein Unterschied waren die vier Tage, die ich für die hundertfünfzig Kilometer nach Villa Tehuelches benötigte zu den fast zwei Wochen, die ich in den Bergen an der Küste verbracht hatte! Man fährt auf der Strasse und ahnt gar nicht, was sich wenige Kilometer jenseits davon abspielt.
Die Sache mit dem Fahrrad war natürlich eine einzige Schnapsidee; ich wurde krank, da ich das Wasser direkt aus dem Rio Rubens getrunken hatte, und das Wetter spielte verrückt und der Wind blies mich tot. Endlich in Villa Tehuelches angekommen baute ich mein Zelt wieder auf und machte einen kleinen Rundgang durch den Ort. Überall waren alle eifrig mit den Vorbereitungen beschäftigt. Das grosse Ereignis des Jahres stand unmittelbar bevor. Ich traf hier und da Bekannte von meinem Aufenthalt von vor zwei Wochen. Alles war echt chilenisch, Touristen waren kaum zu sehen. Mit ein paar Stunden Verspätung startete das Festival dann in den brütend heissen Nachmittag. Es wurden zunächst hauptsächlich Musik und Folkloretänze dargeboten, bei denen Caballeros mit Sporen an den Stiefeln und Ponchos über der Schulter tücherschwenkend um Mädchen herumtanzten, die in bäuerlich wirkende Röcke gekleidet waren. Dabei lächelten die Tänzer in einem fort, was bestimmt nicht einfach war bei der Anstrengung und der Hitze. Danach gab es Klamauk-Nummern, bei denen der Ansager von einer schmuddeligen Alten besprungen wurde, und schliesslich wurde auch die namensgebende Esquilla gezeigt, bei der ein komplettes Schaf in etwa anderthalb Minuten geschoren wurde. Nebenan auf einer eingezäunten Wiese lief gleichzeitig eine Jinetada ab, bei der Reiter aus den umliegenden Nachbarländern teilnahmen. Auch die beeindruckenden Fähigkeiten der perros de oveja wurden gezeigt. Ein Hund ersetzt zwanzig Arbeiter, heisst es.
Zwischendurch verliess man die Arena, um eine Empañada zu essen oder sich die Kunsthandwerkerstände anzuschauen. Alles wirkte ein wenig durcheinandergewürfelt und nicht perfekt organisiert – hier waren eben Leute zugange, die sich zwölf Monate des Jahres mit der Viehzucht beschäftigten, ein Umstand, der das Festival in meiner Erinnerung erst recht sympathisch macht.
Dennoch hatte ich nach einem Tag genug, denn die Darbietungen in der Media Luna arteten in einen Karaoke-Wettbewerb aus, und Geld hatte ich auch keines mehr. Ich \“verkaufte\“ mein Rad an meine Zelt-Nachbarn, die mir dafür einen Kaffee spendierten, und fuhr mit dem Bus zurück an die argentinische Grenze. Ich wollte nun unbedingt mehr über die Pferde lernen.