Nun ging es darum, einen Weg an den Seno Obstruccion im Norden zu finden. Die Küste beim Paso del Indio, einer schmalen Landbrücke, war dicht bewaldet und hätte mich wahrscheinlich mehrere Tage gekostet; die Ebene auf der anderen Seite des Berges war flach und schien nur aus Turbia zu bestehen. Nun denn, warum sich nicht einmal einen richtigen Sumpfmarsch geben. Denn Flüsse kamen aus den Bergen ringsum und sorgten dafür, dass das ganze Gebiet ständig unter Wasser stand. Regen und Sonne wechselten sich im Halbstundentakt ab, so dass ich dauernd damit beschäftigt war, meine Regensachen an- und auszuziehen. Kleine Fliegen fielen über mich her, wenn ich mich zu einer Pause niederliess. Nach acht Stunden war ich endlich an der Küste angelangt und hatte wieder trockenen Boden unter den Füssen, und am Rio Blanco traf ich auf die ersten Menschen nach sieben Tagen.
Alle schienen hier miteinander verwandt zu sein: die Alte rannte davon, als sie mich mit meinem Rucksack ankommen sah, und ihr erwachsener Sohn kam mich an meinem Lagerplatz besuchen, um sich über das Woher und Wohin meiner Reise zu erkundigen.
Ich zeltete unweit einer kleinen Estancia, und Francisco der Estanciero erzählte mir die Geschichte eines Deutschen, der im Jahre 1929 mit Packpferden und Arbeitern und allem möglichen Gerät hier an der Küste vorbeigekommen war, die schmale Landbrücke der Halbinsel Nuñoz Gomero überquert und versucht hatte, am Fusse des Vulkanes Mte. Burney eine Estancia aufzuziehen. Natürlich hatte das Ganze nicht funktioniert, und die Halbinsel war heute wieder völlig menschenleer. Nur ein alter Friedhof irgendwo an der Küste zeugte noch von den Anstrengungen vergangener Tage.
Es waren nun noch rund zwei Tage Fussmarsch nach Puerto Natales, der Kleinstadt am Golfo Almirante Montt und Ausgangspunkt für die Touristenlawine, die jedes Jahr zur Hochsaison in Richtung des Parque Nacional Torres del Paine rollt. Um die Sache etwas abzukürzen, entschloss ich mich zu einem Tagundnachtmarsch; so konnte ich die siebzig Kilometer in einem Stück abreissen.
Auf der Estancia La Junta wurde ich zum Essen eingeladen, dann startete ich in den Abend. Dunkle Regenwolken kamen über das Meer daher und verhiessen eine unangenehme Nacht auf der Strasse. Doch dann nieselte es nur ein wenig, und ich konnte in der Dunkelheit am Wegesrand pausieren und mir ein wenig Butter aufs Brot streichen, während mir ein kleiner Kerzenstummel Licht spendete. In der Morgendämmerung sah ich Puerto Natales vor mir, doch es waren noch über fünfzehn Kilometer. Ich legte mich ins Gras am Strassenrand, um ein wenig zu schlummern, doch der eisig kalte Wind liess mich bald weitergehen. Um mich herum erwachten die Leute, Autos fuhren an mir vorbei. Ich trottete dahin, machte hier und da eine Pause. Ich hörte ein Krähen von oben und blickte hinauf: eine Möwe zog über mir Kreise, kreiste und kreiste und krähte dabei. Was war mit diesen patagonischen Vögeln los? Dauernd machten sie Alarm, wenn ich vorbeikam! Ich ging weiter, doch die Möwe kreiste immer weiter über mir und hörte nicht auf zu krähen. Ein Lastwagen hielt neben mir:
„Donde vas?“
„Puerto Natales.“
„Vamos!“.
Ich liess die Möwe weiter ihre Kreise ziehen, stieg ein und fuhr die letzen sechs Kilometer nach Puerto Natales.